Nur 500 Meter, aber kein Aufzug

In der Friedrichstraße gehen nun täglich 100 000 Passagiere der U-Bahn-Linie 6 zu Fuß

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.
Nur 500 Meter, aber kein Aufzug

Die U-Bahn-Eingänge am Bahnhof Friedrichstraße in Mitte sind mit bedruckten Plastikplanen behangen, dahinter und daneben stehen und hängen Schilder. Es wirkt zum Teil wie nach einer Besetzungsaktion. Doch nicht politische Forderungen finden sich auf Planen und Schildern. Vielmehr wird dort darauf hingewiesen, dass zwischen den Stationen Friedrichstraße und Französische Straße kein Verkehr besteht. Wer hier Richtung Süden weiter will, könne erst nach 500 Metern Fußweg wieder die U-Bahn benutzen, erklären die Schilder.

Die U 6 ist seit Sonntag planmäßig unterbrochen, denn zwischen den genannten Stationen soll eine neue eingefügt werden: »Unter den Linden«. Täglich 100 000 Menschen sind von der Unterbrechung betroffen.

Am ersten Werktag der Sperrung steht der 19-jährige Paul S. im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Friedrichstraße und hält Informationsbroschüren bereit. Ein gelbes Leibchen der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) ist um seinen Oberkörper geschnürt. »Seit Montag stehen wir an Bahnhöfen der U 6 und verteilen Flyer«, erklärt der frisch gebackene Abiturient, der hier auf Minijob-Basis arbeitet. Kann er sich allen Fahrgästen verständlich machen? »Ja, das geht schon«, sagt S., »notfalls mit Händen und Füßen«.

Ähnlich antwortet ein BVG-Azubi, der auf dem Bahnsteig bereit steht. Gerade kommt wieder ein Zug an, sofort muss der junge Mann zwei Mal auf Englisch erklären, was Sache ist. Die Passagiere reagieren, wie auch an anderer Stelle, gelassen.

Sie sollen von gelben Aufklebern in Form von übergroßen Fußabdrücken geleitet werden. Die sind aber zumindest im Bahnhof Friedrichstraße auch ein bisschen irreführend. Wer vom Bahnsteig ins Zwischengeschoss kommt, wird nämlich dazu verleitet, jenen »Stapfen« zu folgen, die im Fersenbereich ein Rollstuhlsymbol enthalten. Dieses Detail ist aber leicht zu übersehen, und so werden immer wieder die falschen Leute zu einem Aufzug geführt.

Im Bahnhof Französische Straße kann das nicht passieren - der ist nämlich nicht barrierefrei. Eine Frau erwähnt dort im Gespräch mit BVG-Personal, dass sie demnächst auch mit Kinderwagen diese Strecke fahren wird. Wie soll sie dann vom Bahnhof auf die Straße gelangen? »Wir helfen Ihnen da natürlich«, sagt eine BVG-Bedienstete. »Aber unsere Schicht ist gleich zu Ende, und ich kann Ihnen nicht sagen, ob danach jemand hier arbeitet, der vielleicht einen Bandscheibenvorfall hatte.«

Barrierefrei ist die Station Stadtmitte. Von dort kann auch ein Bus zum Bahnhof Friedrichstraße genommen werden. Dieser barrierefreie Umweg wird zwar im Informationsmaterial erwähnt. Doch wer ohne Vorwissen mit Kinderwagen oder Rollstuhl mit der U 6 aus dem Süden kommt, wird nicht per Durchsage davor gewarnt, bis Französische Straße zu fahren. Wenn das so bleibt, werden die 500 Meter Fußweg nicht das größte U 6-Ärgernis sein.

Zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Französische Straße wird nun entlang übergroßer gelber »Fußspuren« gewandert.
Zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Französische Straße wird nun entlang übergroßer gelber »Fußspuren« gewandert.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal