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Irgendwo in Teheran, ein Garten in Weimar und anderswo

Die neueröffnete Galerie KH in Karlshorst stellt Fotografien zum Thema Heimat aus

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Sechs großformatige Fotos zeigen Jugendliche auf einer Party. Sie tanzen, bedienen sich am Büfett, reden - eigentlich nichts Besonderes. Doch nur Kleidung und Interieur sind »echt«, die Gesichter und auch viele normalerweise bloßliegende Körperteile wurden nachträglich geweißt, speziell bei den Mädchen. Denn die Party findet irgendwo in Teheran statt, wo weder Feste dieser Art noch Frauen in freizügiger Kleidung erlaubt sind.

Insofern sind diese Szenen eben nicht wie überall auf der Welt. Vielmehr bedeuten sie hier eine Freiheit, die offiziell verboten ist und die man sich ertrotzen muss, sogar bei Gefahr von Strafe. Im Bild festgehalten hat sie der Iraner Amirali Ghasemi, einer der 13 Fotografen, die unter dem Titel »Ein Ort, nirgendwo« in der Galerie des Kulturhauses Karlshorst ausstellen. Die meisten leben in Berlin, haben sich Gäste aus Belfast, Luxemburg, den Niederlanden, Leipzig eingeladen. »Heimat« ist ihr klammerndes Thema. Während Ghasemis Heimat eine gebrochene, durchaus auch schmerzliche Erfahrung ist, bedeutet sie für Andrea Theis eher etwas Verpacktes, Gesichertes: Ihre weißen Gartenmöbel stehen, zumindest noch, eng zusammengestellt unter Plastikfolie vor einer mit wildem Wein überrankten Wand. Ein Weimarer Garten in Wartestellung.

Menschenleer sind die drei Fotos, die Udo Hesse von Troisdorf, seinem rheinländischen Geburtsort, beisteuert. Erst während der letzten Jahre sind sie entstanden, schauen aber aus, als hätte sich dort seit Ewigkeiten nichts verändert. Sonnenbeschienen sind eine ländliche Wegbiege, die gemütliche Häuserzeile voller parkender Autos; auch der hölzerne Sitzpilz im schneegefurchten Wäldchen strahlt beides aus, Gemütlichkeit und Stillstand. Eine ganze Geschichte packt Boris Duhm in seine Montage. Im oberen Teil »sitzt« am weißen Türstock auf blauem Sessel mitsamt ihrer Vase eine Rose, die in jenem Traumbild als verzauberte Frau stehen soll; in einen engen Hohlraum darunter inszeniert Duhm kopfüber einen Mann im Slip, mit geschminkter Dämonenmaske und Fledermausohren, wie er im Sonnenschirm von Regenbogenmusterung auf seine Chance wartet - welche immer. Heimat wird hier eher nicht erreicht.

Oliver Kerns Serie »Die vorläufige Stadt« setzt sich mit Berliner Orten von Vergänglichkeit auseinander, so der Trabrennbahn in Karlshorst und dem Ernst-Thälmann-Park: Wider die Sprayornamente auf dessen Kolossaldenkmal wettert fein säuberlich »Eingekerkert Ermordet Beschmiert«; ungerührt davon eilt ein Mann mit Bauholz über den ziemlich ungastlichen Platz. Thälmanns erhobene Faust und der schriftliche Protest bleiben unbemerkt.

Seine Serie »Vorbilder« bezieht Michael Schäfer aus Pressefotos und inszeniert sie stark assoziativ neu. Vor der Schwärze einer Maueröffnung, Balkon oder Tür, schlägt ein Mann eine Hand vors Gesicht, ist dabei ganz Randfigur geworden, obwohl ein Wald aus Mikrofonen noch auf erhebende Worte wartet; zu sagen scheint er aber nichts mehr zu haben.

Schäfers zweite Arbeit drängt fünf siegesbewusst strahlende Herren auf bunten Bällchenhintergrund: mit Schauspielern nachgestellte Posen von Wirtschaftsbossen und Politikern, die in unsicheren Zeiten Sicherheit verkaufen.

Aus dem Auto fotografiert Oliver Möst vernebelt vorüberfliegende Sujets und weist so auf unsere undetaillierte Wahrnehmung der Umgebung hin. Auch Florian von Ploetz blickt auf Berlin, hier auf eine Mauer mit Himalaya-Motiv, vor der ein blauer Renault parkt; sie verbirgt, liest man im Begleittext, einen Haufen von Schrott. Berlin im Umbruch. Vom Bruch zehren auch die Fotos der Sylvia Chybiak: Im schwäbischen Herrgottsweiler findet sie, was sie sich als Heimat ihrer Kindheit gewünscht hätte: im neblig endlosen Rosenkohlfeld, dem Federballspiel inmitten blühender Natur, dem auf freiem Feld in ihrer Tracht posierenden Mädchen, dessen Sträußchen auf den Arm der Freundin in Jeans Schatten zaubert. Eins mit ihren Porträtierten scheint die Niederländerin Louise te Poele. Die mit unsichtbarem Dritten debattierenden Freunde beim Bier; die munteren alten Damen, wie sie gerade ihre weißen Häubchen geraderücken; der mit sperrigen Zähnen froh lachende Grauschopf, te Poeles Vater - sie lieben ganz offensichtlich ihr Leben und damit ihre Heimat.

Heimat als Grenzerfahrung hat die Luxemburgerin Justine Blau thematisiert. In einer Vitrine, im gleichen Format fotografiert und dann zum Berg gefaltet, hat sie den Flugzeugblick auf stramme Mehrtausender gereiht, 21 Massive, grün die niedrigeren, schneebedeckt die hohen, Mount Everest oder Mont Blanc. Alle befinden sie sich an natürlichen Grenzen, leihen dem Begriff Heimat eine denkwürdige Unschärfe.

Bis 27.7., Galerie KH, Kulturhaus Karlshorst, Treskowallee 112, Telefon 475 94 06 11, im Internet

www.kulturhaus-karlshorst.info

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