So sehr Amerika ... wie Apfelkuchen

Georg Seeßlen zum 50. Todestag von Marilyn Monroe: Erinnerung an eine Zeitenwende, nicht nur im Kino

  • Lesedauer: 5 Min.

Marilyn Monroe ist das alleingelassene Revuegirl. Ihm ist das Ornament der Masse abhanden gekommen, das in den dreißiger und noch in den Kriegsjahren den weiblichen Körper in der maschinellen Vervielfältigung als Sinnbild des kapitalistischen Eros bewegt sah. Auf sich selbst gestellt in einer Welt, die nicht mehr so sehr durch Choreographien als durch Interessen zusammengehalten wird, trägt sie gleichsam noch Reste ihrer einstigen Bezeichnung. Die äußere Ordnung, die ihr verloren ging, muss sie in ihrem Inneren wiederfinden. Sie muss das Subjekt ihres Lebens werden, keine einfache Sache, wie wir wissen. Dieser Körper also muss vom Ornament zum Ikon werden.

Marilyn Monroe gehört zu den Leinwanderscheinungen, mit denen die Rolle der Frau für die US-amerikanische Nachkriegsgesellschaft und für die Gesellschaften, die von ihrer Strahlkraft profitierten, neu definiert wurde. Ihre Sexyness entstammte nicht zuletzt dieser Spannung zwischen einer »alten« Rolle, die nicht vollständig überwunden werden konnte, und einer »neuen« Rolle, die sich in Grenzen und unter Bedingungen zu verwirklichen hatte. Es war die Geburt des »material girl«, einer Frau, die vom Ökonomischen in der Sexuellen Ökonomie ihrer Welt durchaus sprechen durfte. Sie tat es, in aller Regel, klüger als der Rest, klüger als die Männer sowieso. Und wie bei ihrem Pendant, Doris Day, deren eiserne Jungfräulichkeit so sehr gespielt war wie die Revuegirl-Vulgarität der Marilyn Monroe, verbarg sich in ihren Filmen nur wenig die Brutalität der Verhältnisse.

Marilyn Monroes Schönheit ist nicht eine »klassische«, sondern die Schönheit einer Klasse. Nicht nur ihre Lebenslegende, sondern auch ihre Filme zeigen den Aufstieg aus einer vergessenen Unterschicht in die Welt des neuen Kleinbürgertums. In den eher melancholischen ruralen Dramen, dem Western »River of No Return« oder den Neo-Western »Bus Stop« und »Misfits« dagegen kehrt sie zurück in die Tiefen der US-amerikanischen Gründungslegende, wo nur das gut-böse Mädchen zur idealen Frau des Cowboy werden konnte. Doch in den modernen Komödien wie, »Gentlemen Prefer Blondes«,»How to Marry a Millionaire« oder »The Seven Year Itch« ist Marilyn Monroe eine Gestalt von Erneuerung und Modernisierung. Einerseits geht es um das Einschreiben des skandalösen Körpers in die Kleinbürger-Erzählung, andererseits aber auch um Befreiung, oder doch wenigstens Demokratisierung. Dieses Aschenputtel wird nicht mehr allein erhoben in die Klasse der Besitzenden, es macht die Klasse selber durchlässig. Nicht nur jeder Mann kann vom Tellerwäscher zum Millionär werden, sondern auch jede Frau vom allein gelassenen Revuegirl zur Diamantensammlerin.

Ihre Schönheit ist nicht die einer Frau aus gutbürgerlichem Haus, keiner ihrer Filme behauptet auch nur annäherungsweise eine bürgerliche Identität, und es ist kaum etwas »Europäisches« an ihr. Niemand hat ihre »Amerikanischkeit« und ihren proletarisch-kleinbürgerlichen Hintergrund so genau gezeigt wie die europäischen Regisseure in Hollywood, Billy Wilder, Otto Preminger, Laurence Olivier. Dass sie immer Tänzerin, Saloon-Girl, Bar-Sängerin ist, das mag, wie im Western üblich, eine Chiffre für Prostitution, jedenfalls für nicht-puritanische Sexualität sein, es ist aber auch Chiffre für ein nomadisches, unbehaustes Leben. Die alleingelassene Revuetänzerin sucht nach einem Zuhause in der neuen Welt.

Doris Day hat die perfekte Haut der neuen Kleinbürgerin in der Angestelltenkultur übergezogen. Sie trägt komische Hüte, komische Kleider, richtet komische Wohnungen ein und wird dann Vorstand komischer Familien werden. Sie hat es auf eine mehr oder weniger endgültige Form der sexuellen und sozialen Situation abgesehen. Daher muss sie vernünftig, das heißt mehr oder weniger protestantisch-»kapitalistisch« mit ihrer Sexualität umgehen. Dass es bei Marilyn Monroe ein Gut der Jungfräulichkeit, auch nur eines der emotionalen Jungfräulichkeit, zu verteidigen gäbe, daran glaubt niemand, und das versucht sie auch nie irgend jemandem vorzumachen.

Sie ist vielmehr eine erfahrene Frau in der Liebe, und damit verspricht sie, zur Erlöserin der verklemmten Männer dieser Nachkriegsgesellschaft zu werden, die so rasch von der Rationalität des Krieges in die Rationalität der Produktion wechseln musste, um die Folgen der großen Veränderungen abzufedern. Alle Männer, mit denen Marilyn es zu tun bekommt, sind entweder Kinds- und Wirrköpfe oder weltmüde Drifter. Doris Day stellt die Lust in den Dienst der Ökonomie; Marilyn Monroe dagegen die Ökonomie in den Dienst der Lust.

So lenkt, dieser neuen Rationalität folgend, der Doris Day-Typ das männliche Interesse vom Körper auf die Dinge und Zeichen. Im positiven Sinne ermöglich ihr die Filme, eine Karriere zu machen, im negativen Sinne aber betonen sie, dass diese Karriere nur aus modischem Blödsinn, aus dem leichten Wahn des Konsums und der Möblierung der Angestelltenkultur besteht. Frauen machen Karriere in einer Kultur, die die Emanzipation der Frauen auf sanfte Weise verhindert. Ganz im Gegensatz dazu steht Marilyn Monroe, bei der nie jemand weiß, vielleicht auch sie selber nicht, wie das Naive und das Zielstrebige einander bedingen. Sie gibt der sexuellen Ökonomie des Nachkriegskapitalismus einerseits die Unschuld zurück, und macht andrerseits die Gleichung von Authentizität und Liebe neu auf. Marilyn ist Make Up und Maske, definitiv. Dem fundamentalen Positivismus verpflichtet. »So amerikanisch wie Apfelkuchen« (und Atombomben). Aber Make Up und Maske verbergen nicht den Menschen. Das ist die Metaphysik aller ihrer Rollen: Das Heraustreten des Menschlichen aus der Frauen-Rolle.

Komödien sind die grausamste Form des Genrefilms. Deswegen steckt in den Marilyn Monroe-Komödien auch das Scheitern des Menschwerdens in der neuen Frauen-Rolle. Aber so furchtbar in der Kleinfamilie des Kleinbürgertums in Klein-Amerika scheitern wie Doris Day, das musste Marilyn Monroe denn doch nicht. Wir haben sie mütterlich, aber nie als Mutter erlebt. Und im richtigen Leben hat sie gegen »die halbfaschistischen Hampelmänner« von der McCarthy-Front gewettert. Und konnte kreuzunglücklich sein.

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