Zuhören ist ein Anfang

André Brie über die Perspektiven der Lausitz und die Kluft zwischen Bürger und Politik

  • Lesedauer: 4 Min.
Im März ist LINKE-Politiker André Brie schwer verunglückt, jetzt meldet er sich ins politische Geschehen zurück. Die Monate in der Klinik haben ihm auch ein Stück weit die Augen geöffnet, sagt er im nd-Gespräch.

nd: Herr Brie, heute Abend treten Sie im Rahmen einer Lesung und Ausstellungseröffnung in Großräschen auf. Es geht um »Perspektiven für die Lausitz« - wo sehen Sie die?
Brie: Die Lausitz braucht eine andere Perspektive als die von Energie in Form von Braunkohle. Aber es geht nicht ohne die Menschen. Viel ist kaputt gegangen in dieser Gegend, Sie treffen dort oft Mutlosigkeit. Die Industriestädte haben 30 oder mehr Prozent ihrer Einwohner verloren. Viel von dem, was als Abhilfe versucht worden ist, hat nicht so recht funktioniert, zum Beispiel der berühmte Lausitzring. Solche Erfahrungen des Scheiterns wirken sich auf die Menschen auch nicht gerade stimmungshebend aus.

Wo sehen Sie Potenziale in der Kohleregion?
Da gibt es den Tourismus, der durch die Renaturierung der Gruben Impulse erhalten wird. Aber das allein reicht nicht aus. Gute Ansätze sehe ich auch in einer modernisierten Energiegewinnung, etwa durch die Produktion von Windanlagen, aber bisher sind das 100 Arbeitsplätze. Nötig wäre ein Ansatz von gesellschaftlicher Wirtschaftspolitik, der aber derzeit in der Bundesrepublik so wenig gewünscht ist wie in der EU.

Was verstehen Sie darunter?
Einen Ansatz, der Wirtschaftsforschung und Ansiedlungen mit der Kultur verbindet, die die Lausitz hat. Bisher wird die Lausitz als Region alleine gelassen, übrigens auch die sächsische Lausitz. Für das Buch, das ich heute vorstelle, habe ich mit einer Ingenieurin gesprochen, die noch in der Kohle arbeitet. Sie machte mich darauf aufmerksam, wie sehr zum Beispiel die Grenzregionen zu Polen noch immer abgekoppelt sind. Die Potenziale des EU-Beitritts sind bisher überhaupt nicht genutzt worden.

Die Veranstaltung heute Abend ist eine Ihrer ersten nach Ihrem Unfall vom März. Hat sie diese Erfahrung verändert? In der »Welt« war zu lesen, Sie sähen jetzt ihre Partei kritischer?
Was ich tatsächlich kritischer sehe, ist die Politik, sind auch Parteien insgesamt. Ich habe vier Monate in einer Klinik verbracht, unter 650 Menschen, von denen meines Wissens keiner in einer Partei war. Trotzdem bin ich noch nie so oft auf Politik angesprochen worden. Diese Gespräche haben mir klar gemacht, dass die Menschen sehr praktische, sehr reale Antworten wollen. Innerhalb und zwischen Parteien ist die Auseinandersetzung oft sehr oberflächlich und auf kurzfristige Effekte ausgerichtet. Man arbeitet viel mit Etiketten wie zuletzt z.B. »pro-« oder »antieuropäisch«. An den Menschen geht das vorbei. Sie wollen in einer anderen, persönlicheren Weise in die Politik einbezogen werden.

Vor ihrem Unfall hatten Sie im nd gesagt, die Partei müsse »erlebbarer« werden. Wie sehen sie das jetzt nach der Niederlage in Schleswig-Holstein, wo Sie nicht wie geplant als Wahlkampfmacher eingreifen konnten?
Erlebbarkeit war damals entscheidend und ist es auch heute. Die Kultur in der Partei, die Kultur der Partei gegenüber den Menschen. In der vergangenen Woche habe ich meinen neuen Parteivorsitzenden Bernd Riexinger in Mecklenburg-Vorpommern als einen Zuhörer erlebt. Das ist ein Anfang. Nicht erst seit den Niederlagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, sondern bereits seit der Berlin-Wahl und dem Aufkommen der Piratenpartei ist deutlich, dass viele Menschen mit dem etablierten politischen System unzufrieden sind, von uns aber jetzt nicht erreicht werden.

In der Landespolitik, der Sie sich jetzt wieder verstärkt widmen wollen, gab es zuletzt eine ähnliche Debatte im Umgang mit der NPD. Eine Studie beklagt die mangelnde Präsenz der Parteien in der Fläche. Eine parlamentarische Ausgrenzung reiche nicht. Wie sehen Sie das?
Die LINKE ist sicherlich eine der Kräfte im Land, die immer auch auf eine außerparlamentarische Politik gegen die Rechtsextremen gesetzt hat. Insgesamt müssen die Parteien jedoch noch mehr tun, von der CDU bis zu meiner Partei. Es ist nicht leicht, in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern »in der Fläche präsent« zu sein. Aber angesichts der Gefahr für die Demokratie darf niemand nachlassen. Fragen: Velten Schäfer

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