Musikalische Komödie von Format

Am Schlosspark Theater ist Theo Lingen »Komiker aus Versehen«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Unter den altvorderen Szenenfotos aus dem Schlosspark Theater hängt eines mit Martin Held und dem jugendlichen Ilja Richter, 1966 traten sie gemeinsam hier auf. Gegenüber an der Autogrammwand, mit Schriftzügen von Humboldt bis Hauptmann, finden sich Foto und Namenszug von Theo Lingen. Ihn gibt nun am selben Ort, 46 Jahre später, der Jungakteur von einst, brillant zum Komödianten gereift, frappant echt auf den großen Vorgänger eingestellt. Auf den Leib geschrieben hat ihm die Rolle Tilmann von Blomberg und das Stück von Ulf Dietrich inszenieren lassen.

Was 2011 im Stuttgart Premiere hatte, gastiert bei Hallervorden und riecht nach veritablem Erfolg, verfügt es doch über zwei todsichere Ingredienzien: Lingen als Stichwortgeber, Blomberg als den, der das in so amüsante wie berührende Form bringt. Denn das Fatale für den Autor ist, dass Lingen Paradekomiker zwar war, Privatleben und berufliche Motivation jedoch unter Verschluss hielt. So bleibt »Komiker aus Versehen« Annäherung an einen ziemlich Verschwiegenen. Was Recherchen zur Person ergaben, zeichnet ein durchaus nicht nur heiteres Bild vom Erheiterer der Nation, der neben Hans Moser exzellierte, während der Nazi-Ära und im Nachkriegsdeutschland bis zu seinem Tod 1978 über 200 Filme drehte, mehr als 20 allein 1933!

Vielleicht lässt Blomberg sein Stück autobiografisch beginnen, denn da probt ein Pianist und Autor eine Aufführung um Lingen, doch sie will ihm nicht gelingen. Sie gerät zu seichtem Quatsch und vergrätzt die beiden Spieler, Sänger, Tänzer. Und das eine Nacht vor der Premiere. Wer bist du hinter deiner Maske, ruft er verzweifelt, beschwört damit Lingens Geist herauf. Als der näselt Ilja Richter vornehm wie sein Meister und versteckt sich als dieser hinter nasalem Pointenfeuerwerk.

Mehr an Infos will er nicht geben: Sehen Sie sich meine Filme an! Und redet dann doch. Zeichner wollte er werden, stand schon früh auf der Bühne, wollte mit der vom Vater gebauten Drehorgel Geld ersingen. Katherina Lange spielt diese Szene, mit Richter als Vater, dem unter der Inflation leidenden Rechtsanwalt, der den Neigungen des Sohnes nur nachgibt, weil man in Naturalien entlohnt wird. In den Part des jungen Lingen schlüpft Gideon Rapp, auch er täuschend echt bis zum Schluchzer in der Stimme. In Halberstadt agiert er ganz expressionistisch, »Ich turne Ausdruck« heißt es in einem Couplet, wie sie alle Richter im Stil Lingens und sprachfunkelnd geschrieben hat.

Er hatte keinen Spaß, gibt Lingen an, tat nur, was das Publikum von ihm erwartete, wollte nie Komiker werden. Und stiehlt doch in Nebenrollen den Stars die Schau, hat fünfmal Szenenapplaus in fünf Minuten. Alles passierte eben aus Versehen, die Lacher wurden sein Opium, er süchtig. Der Styx in Offenbachs »Orpheus« ist Bravour für Rapp, Schicksal für Lingen. In den pingeligen Pointensetzer verliebt sich Brechts Ex-Gattin, wird ihm lange Begleiterin. Das erbost Bertolt, zumal sie gerade ein Kind von ihm erwartet.

Den noch als »Stehkragenkomiker« Geschmähten holt er 1929 für den Macheath nach Berlin, wo Lingen bald seine »Limonadenfilme« dreht, eben, so eines der Couplets, »von Kopf bis Fuß auf Lingen eingestellt«, wird Ufa-Star, spielt winters an der Burg Wien, sommers Klamotte. Er beschütze die Familie, verteidigt er sich, als ihm Brecht rät, ins Exil zu gehen. Dann der Eklat: Die Mutter seiner halbjüdischen Frau wird verhaftet. Gründgens schickt ihn zu Goebbels, der droht und hilft, als Lingen seinerseits verschüchtert droht. Er weiß, Jud Süß würde bei ihm Nathan und ihm daher nicht angeboten. Die Inszenierung verliert hier alles Lustige, macht betroffen. Lingen singt süffisant die Ballade vom semmelblonden Emil. Forscher ist sein kindliches Alter Ego: Du hast nur Schiss zu gehen, bist kein Nazi, doch ein Narziss.

Mit Masken arbeitet Dietrich bisweilen, setzt für die einzelnen Szenen die Drehbühne ein und bedient die Klaviatur der Gefühle, wie Blomberg sie vorzüglich zu spielen weiß. Ob die Aufführung zustande kommt, erfährt man nicht, falls nicht der »Komiker aus Versehen« damit gemeint ist. An ihm delektiert man sich nicht zuletzt wegen großartig wandlungsfähiger Darsteller, alle in mehreren Rollen. Richters und Rapps Lingen sind Kabinettstücke blitzschnell changierender Schauspielkunst, der Lange vom Theo-Kind bis zum Leder-Brecht, Daniel Große Boymann als Pianist und Dichter starke Akzente beifügen.

Wieder 9.-26.8., Schlosspark Theater, Schloßstr. 48, Steglitz, Tickets: 78 95 66 71 00, www.schlossparktheater.de

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