Fataler Irrtum: Weiche zu früh gestellt

Menschliches Versagen offenbar Ursache für S-Bahn-Unglück

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Jetzt hat die S-Bahn auch noch Pech: Zwei Tage nach dem Unglück in Tegel prallte gestern Vormittag ein Zug der Linie S 7 zwischen Grunewald und Westkreuz auf einen abgebrochenen starken Ast. Verletzte habe es keine gegeben, teilte ein S-Bahn-Sprecher mit. Die Frontscheibe des Zuges wurde beschädigt, die Strecke musste für zwei Stunden gesperrt werden. Busse fuhren als Ersatz. Erst gegen Mittag konnte der Betrieb wieder aufgenommen werden.
Unterdessen verdichten sich die Hinweise, dass dass Unglück in Tegel, bei dem sechs Menschen verletzt wurden, durch menschliches Versagen verursacht wurde. Ein Fahrdienstleiter hat offenbar die Weiche, an der sich der Unfall ereignete, zu früh umgestellt. Vorausgegangen war der Ausfall von Sicherungstechnik durch einen Blitzeinschlag. Danach funktionierten neben Schranken auch Gleisfreimeldeanlagen nicht mehr, die den Mitarbeitern im Stellwerk anzeigen, ob ein Gleisabschnitt gerade von einer S-Bahn befahren wird.

Zum Zeitpunkt des Unglücks war das Stellwerk mit zwei Fahrdienstleitern besetzt, wovon allerdings einer nur zur Einweisung nach längerer Abwesenheit anwesend war. Sie hätten sich auf anderem Wege davon überzeugen müssen, dass der Abschnitt frei ist, bevor die Weiche dann manuell gestellt werden konnte.

Da die Strecke mit der Weiche vom Stellwerk aus nicht einsehbar ist, hätte auf die Rückmeldung vom nächsten Bahnhof gewartet werden müssen, dass der Zug dort eingetroffen ist, so ein Insider gegenüber nd. Dies sei offenbar nicht erfolgt, sondern die Weiche sei »nach Zeit« gestellt worden. Das heißt, der Stellwerker habe solange gewartet, wie ein Zug normalerweise braucht, um nach Ausfahrt aus dem Bahnhof Tegel den Abschnitt mit der Weiche zu passieren. Der fatale Irrtum: Der Zug brauchte diesmal länger, weil er wegen der durch den Blitzeinschlag defekten Schranke langsamer fahren musste.

»Der Fahrdienstleiter war in dieser Situation schlichtweg überfordert«, so der Experte und weist auch den Bahn-Chefs Mitverantwortung zu. »Statt ihn noch mit Ausbildungsaufgaben zu belasten, hätte man ihm nach dem Blitzeinschlag Leute zur Unterstützung schicken müssen.« Überhaupt seien die Fahrdienstleiter schlecht auf solche Störfälle vorbereitet. So sei es in den vergangen Wochen häufiger zu Unregelmäßigkeiten bei Zugmeldungen gekommen.

Offenbar reagiert die Bahntochter DB Netz, die die Stellwerke betreibt, auf diese Vorfälle: Für nächste Woche sind Stellwerker zu Schulungen einbestellt. Die Bahn selbst wollte sich zu diesen »internen« Vorgängen nicht äußern. Die Unfallursache werde noch untersucht. Das Eisenbahnbundesamt bestätigte aber, dass die »betrieblichen Abläufe« im Fokus stünden einschließlich der »Betriebshandlungen im Stellwerk«. Aber auch Fahrzeuge und Infrastruktur würden untersucht. Gesicherte Erkenntnisse gebe es aber noch nicht, so Sprecher Moritz Huckebrink.
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