Show zur Nacht

»Precht« im ZDF

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Dies ist der Nachfolger des »Philosophischen Quartetts«, der etwas unübersichtlichen Sendung, in der öffentlich gedacht wurde. Lässt sich Gleiches auch über »Precht« sagen? Mit Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk saßen zwei ältere und - ihrem Äußeren nach - nicht gerade attraktive Herren vor der Kamera, die über nicht allzu populäre Themen abwechselnd labyrinthische Sätze quer durch die europäische Geistesgeschichte und harte Definitionen aussprachen, unbeeindruckt davon, ob ihnen jeder folgen konnte. Mindestens einer von ihnen lispelte zudem. Da verkauften sich zwei (und ihre Gäste) nicht an ein Medium, sondern sahen sich ihm in aller Verlegenheit ausgesetzt. Wenn sie sprachen, dann sprach etwas durch sie. Das konnte gelegentlich Ereignischarakter annehmen, jenen Anwendungsfall der allmählichen Verfertigung des Gedankens beim Sprechen, den Kleist meinte.

Nein, die Vorstellung, Sloterdijk und Safranski könnten für das »Format« gecastet worden sein, wäre absurd. Bei »Precht« aber verlässt mich dieser Verdacht nie. Zu gut passen da Medium und Mensch zusammen. Peter Sloderdijks heiter-distanzierte Erklärung im letzten »Philosophischen Quartett«, er verlasse diese Sendung ohne Abschiedsschmerz, schließlich sei er »nicht im Fernsehen« geboren worden, war eindeutig. Und Richard David Precht? Über ihn sagt man, er habe als Kind seiner revolutionär gestimmten Eltern zu Hause nie fernsehen dürfen. Die überaus dialektische Folge dieser Askese ist nun zu besichtigen: die »Precht«-Show!

Hier dürfen wir von Ambiente sprechen. Das Studio sieht aus wie eine postmoderne Variation von van Goghs »Nachtcafé«, Bar-Beleuchtung mit Ufo-Effekten, nur eben nicht für Selbstmörder. Die Gesichter scheinen zudem in rotes Licht getaucht, wie sie die neuen Kaltlicht-Beleuchtungskörper jenseits der Glühbirne eigentlich gar nicht mehr produzieren. Doch die Wärme dieses von »Stardesigner Ron Gilad« entworfenen »modernen Kronleuchters« ist abgezweckt, es solle, so Produzent Gero von Boehm, eine intime Atmosphäre erzeugt werden. So ist das Produkt, das hier an den spätabendlichen Menschen gebracht werden soll, nicht weniger glatt als die Talkshows von Beckmann, Kerner oder Lanz.

Thema der ersten Sendung ist die Bildung: »Macht Lernen dumm?« Wem diese Frage abwegig erscheint, dem sei gesagt, dass es sich hierbei sozusagen um eine neue Erkenntnis der Hirnforschung handelt, wenn auch in Schlagzeilenformat gebracht. Für jene neue Zielgruppe, die sich eher für die Frisur von Precht interessiert als für Gedanken, die hier geboren werden und die Peter Sloterdijk ahnungsvoll als »Damen über 50 in spätidealistischer Stimmung« beschrieb? Precht macht etwas, was Safranski und Sloterdijk nicht taten, jedenfalls nicht beim Anblick einer Kamera: Er lächelt. Er lächelt auffallend häufig, und bösartig gestimmte Aufklärer könnten sich dabei an einen Sekten-Guru erinnert fühlen, der einem seine Heilslehre verkaufen will. Aber das mit dem Zuviel-Lächeln wird ihm sein »Coach« schon noch abtrainieren. Die Kamera kriecht dicht heran, schneidet die Köpfe an, zeigt manchmal nur eine Hand oder ein Auge. Aha, Heidegger und die Philosophie des Auges, könnte man nun denken, aber um derartig abgelegenes Bildungsgut geht es hier eben nicht.

Precht hat immer einen Gast, diesmal den Hirnforscher und Bildungskritiker Gerald Hüther. Beide sind sich vor allem eins: immer einig. Man kultiviert den halb flüsternden Alexander-Kluge-Ton, aber ohne dessen weit ausschwingende Assoziationsketten. Man bleibt auf gedämpfte Weise plakativ, man weiß bereits vorher, was man sagen wird - das ist der unphilosophischste Gestus schlechthin. Wer hat eigentlich behauptet, dass es bei »Precht« um Philosophie gehen soll? Precht sagt es in seiner ersten Sendung nicht. Er hat vielmehr bestimmte Vorstellungen, bei denen ihm nun der Experte sekundiert: Schule müsse vor allem Spaß machen, Leidenschaften wecken, Wissens-Vermittlung sei nicht so wichtig. Das habe die Hirnforschung erwiesen. Es klingt, als hätten wir noch die Paukschule von »Unterm Rad« abzuschütteln. Zensuren könne man abschaffen. Klingt wie aus einem verstaubten SPD-Bildungsprogramm aus den Siebzigern, das Rechtschreibregeln sowie jeden »Frontalunterricht« abschaffen wollte. Prechts Gestus dabei: immer schön entspannt bleiben, denn noch nie habe die Zukunft für Schüler so rosig ausgesehen wie heute. Darüber darf man streiten. Aber hier streitet sich niemand.

Die Hirnforschung tritt hier an die Stelle des Gottesbeweises. Unser Menschenbild in den Händen einer Einzelwissenschaft? Das scheint mir starker biologistischer Tobak! Von Lehrern wird nicht mehr gesprochen, sondern nur noch von »Potenzialentfaltungscoaches«. Wer bei solch luziferischen Wortschöpfungen an Huxleys »Schöne neue Welt« denkt, muss zuvor erst einmal lesen gelernt haben. Und was passiert mit dem humanistischen Bildungsideal? Warten, bis es sich auf biologischem Wege erledigt, also ganz vergessen ist? Mit der Vergangenheit hat es Precht nicht so sehr: »Wir überhäufen unsere Kinder mit einem Wissen, das aus der Vergangenheit stammt.« Allerdings, die zu lesenden Bücher mussten erst einmal geschrieben werden, nicht alles lässt sich hier und jetzt googeln!

Überhaupt, das Lesen spielt anscheinend keine Rolle für den Bildungsbegriff Prechts. Wobei man von »Begriff« auch nicht reden kann, denn dann müsste man sich zuvor die Mühe machen, zu definieren, worüber man spricht. Bei Precht klingt es wie: alles, was Spaß macht. Von Urteilskraft, Autonomie, Tradition keine Rede. All das sind Themen, denen ein Widerspruch innewohnt - aber mit dem Widerspruch in der Sache selbst beginnt nun mal alles Denken. Hier wird er beiseite geschafft.

Bei Bildungsvisionen sollte man auch über Humboldt oder Goethe reden. Bei »Precht« aber hört es sich an wie von Hermann Hesse im »Glasperlenspiel«, Kapitel »Das feuilletonistische Zeitalter«, vorweggenommen: Teil der Krankheit statt der Heilung. An Hesse übrigens wäre zu lernen (!), dass ein Autodidakt und Schulwegläufer am Ende seines Lebens die bitterernste Frage stellte, wie sich Bildung organisieren lässt, wie man verhindern kann, dass Menschheitserfahrungen einfach vergessen werden.

Wie überdauert der Geist in geistlosen Zeiten? Das aber ist keine Frage des Small-Talks über Hirnforschung mehr - und so anscheinend auch keine für »Precht«.

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