In Würde altern

Ursula von der Leyen hat ein wichtiges Thema angesprochen, doch sie macht sich damit keine Freunde

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Konzept einer Zuschussrente findet keine Anhänger. Seine Urheberin, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, erntet Kritik nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus den eigenen Reihen. Dabei hat sie ein wichtiges Thema angesprochen: In Würde altern. Die Bedingungen dafür werden immer schlechter.

Auch wenn der einstige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der den Satz von der sicheren Rente 1986 prägte, noch immer auf dem Gegenteil beharrt - seine Amtsnachfahrin Ursula von der Leyen hat Recht. Jedenfalls unter den realen Nach-Blümschen Bedingungen. Das mittlerweile verstümmelte, »reformierte« Rentensystem lässt die Zahl der von Altersarmut bedrohten Menschen in Deutschland absehbar anwachsen. Dies ist Gegenstand der Kritik von links seit Jahren.

Nun ist die Erkenntnis also bei der Ministerin gelandet. Das ist eine gute Nachricht. Dieser Fortschritt lässt sogar darüber hinwegsehen, dass es widersprüchliche Äußerungen aus dem Haus von der Leyen gibt. So hieß es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Matthias Birkwald (LINKE), die auf »beständig sinkende Renten« verwies und »Vorboten einer neuen Altersarmut« konstatierte, solche Bemerkungen könnten sich nicht auf Deutschland beziehen. »In der Bundesrepublik Deutschland sind Rentenkürzungen gesetzlich ausgeschlossen.«

In den Rentenreformen der letzten Jahre ist die klare Zielstellung enthalten, bis 2030 das Rentenniveau von derzeit etwa 51 Prozent auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes abzusenken. Ausgeglichen werden sollte dies durch private Vorsorge des Einzelnen - Stichwort Riester-Rente - oder auch durch Minijobs im Alter. Walter Riester, auch ein Amtsvorfahre von der Leyens und Pate eines nach Meinung der Kritiker ineffizienten und als Ausgleich völlig ungeeigneten Versicherungssystems, hat übrigens der heutigen Arbeitsministerin ausdrücklich zugestimmt. In der bedrohlichen Einschätzung der kommenden Altersarmut ebenso wie in ihrem Vorschlag einer Zuschussrente. Von der Leyen mag dies egal sein, sie könnte stärkere Unterstützer gebrauchen.

Tatsächlich kämpft die Ministerin derzeit einen einsamen Kampf - nicht gegen die Opposition im Bundestag, gegen Gewerkschaften und soziale Verbände, die ihren Vorschlag einer Zuschussrente für unausgegoren und unzureichend halten, sondern in den eigenen Koalitionsreihen, was für sie noch folgenschwerer sein könnte. Die FDP verwirft ihren Plan in Bausch und Bogen - Generalsekretär Patrick Döring warf ihr »mediale Selbstinszenierung« vor und dass ihre Beispielrechnungen »nicht sehr realistisch« seien. Döring beschwört das öffentliche »Vertrauen in das System«, das die Ministerin untergrabe. Doch selbst in der CDU ist bisher vor allem Ablehnung deutlich geworden. Der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, steht dabei neben Josef Schlarmann, Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. »Die Grundsicherung aus der Steuerfinanzierung ist die Lösung«, sagte Schlarmann im RBB-Inforadio. Zudem falle niemand in Deutschland durch das soziale Netz: »Wer nicht ausreichend Rente hat, der bekommt die Grundsicherung.«

Mit dem Vorwurf der medialen Selbstinszenierung von der Leyens zumindest hat Patrick Döring nicht ganz Unrecht. Über die »Bild«-Zeitung hat sie mit alarmierenden Beispielen für kommende Altersarmut die Öffentlichkeit erschreckt und damit einen sicher beabsichtigten Effekt erzielt. Doch vorausgegangen ist dieser Offensive ein Machtkampf vor allem mit der FDP, in dem die Ministerin bislang keinen rechten Erfolg verzeichnen konnte. Im Koalitionsvertrag ist vermerkt, dass »diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist«. Die Regierungskommission, die dazu einen Vorschlagentwickeln sollte, ist nie ins Leben gerufen worden. Stattdessen kam es zum Rentendialog der Bundesregierung mit Vertretern der gesetzlichen Rentenversicherung und von Verbänden, in dem es wie absehbar zu keiner Einigung kam. Bereits dabei warb von der Leyen erfolglos für ihren Vorschlag einer Zuschussrente. Mit ihren Plänen einer obligatorischen Altersvorsorgepflicht für Selbstständige erlitt die Ministerin überdies öffentlichen Schiffbruch. Zu allem Überfluss hat die FDP ihr Ziel einer Beitragssenkung in der gesetzlichen Rentenversicherung durchgesetzt. Hierfür hatte von der Leyen auf Zustimmung für ihre Zuschussrente gehofft. Vergeblich...

Es kann hier nicht die Frage beantwortet werden, ob das Gerücht stimmt, das die »Bild«-Zeitung unter Berufung auf ungenannte niedersächsische CDU-Abgeordnete streute: »Sie will Kanzler«. Vielleicht wird andersherum ein Schuh draus. Vielleicht unternahm die als Merkel-Vertraute gehandelte Ministerin ihren Vorstoß im Vertrauen auf die Bundeskanzlerin. Doch auch Angela Merkel hat sich nicht zu ihrer Verteidigung aufgerafft. Ihr Verweis auf kommende Diskussionen muss als Absage wirken. Von der Leyen pokert hoch. Am Erfolg ihres Gesetzes »kann man mich dann auch messen«, hat sie unlängst gesagt.

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