Die Stimme der Stimmlosen

Andalusische Landarbeiter wehren sich gegen Verarmung

  • Louis Max Blank, Almería
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Protestzug der Landarbeitergewerkschaft SAT zieht weiter durch Dörfer und Städte der südspanischen Region Andalusien. Gegen Arbeitslosigkeit und Verarmung richtet sich der Protest der Teilnehmer.

Die kämpferischen Landarbeiter der andalusischen Gewerkschaft SAT (Sindicato Andaluz de Trabajadores) finden wachsenden Zuspruch bei der Bevölkerung. Bei ihrem wochenlangen Marsch quer durch Andalusien bringen die Demonstranten in den Städten mittlerweile Tausende auf die Straße. Die Protestbewegung, die von Juan Manuel Sanchez Gordillo, dem charismatischen Bürgermeister von Marinaleda, angeführt wird, begnügt sich jedoch längst nicht mehr mit Reden und Pilgerzügen.

Anfang August ließ die SAT in Supermärkten Regale leer räumen und Lebensmittel an bedürftige Familien verteilen. Die »Aktion gegen den Hunger« erregte international Aufsehen und löste in Spanien eine Debatte in allen Medien aus. Neben Supermärkten wurden auch Bankfilialen und Adelsgüter besetzt. Der Protestmarsch wird inzwischen stets von einem starken Polizei- und Sicherheitsaufgebot begleitet.

Die Bevölkerung ist gespalten, doch scheint sich in der spanischen Öffentlichkeit eine Radikalisierung der Meinungen abzuzeichnen. 54 Prozent der Teilnehmer einer Online-Umfrage der Tageszeitung »El Mundo« hielten die Aktion für gerechtfertigt, gar 90 Prozent der Leser der digitalen Zeitung »Publico« halten die Beschlagnahmung von Lebensmitteln in Notlagen für eine durchaus legitime Handlung. Gordillo selbst verteidigt sein Vorgehen als »notwendige Aktion« und kündigte weitere Enteignungen an. »Irgendwer muss etwas unternehmen, solange es hungernde Familien gib.«

Allerdings finden die Aktionen der Landarbeitergewerkschaft beileibe nicht überall Freunde. Den Behörden und vielen Bürgern geht der Supermarktklau zu weit, die Angst vor einem Flächenbrand und bürgerkriegsähnlichen Zuständen sitzt tief. Nach der »Enteignungsaktion« wurden zwei Gewerkschafter verhaftet. Gegen die SAT sind mittlerweile zahlreiche Zahlungsaufforderungen und Strafanträge ergangen. So müssen rund 400 000 Euro Bußgelder und Kautionen gezahlt werden. Seit dem Lebensmittelraub gingen 300 Anzeigen ein, es wurden Anträge auf Gefängnisstrafen zwischen 9 Monaten und 41 Jahren gestellt. Auch Sanchez Gordillo selbst, der als Parlamentarier derzeit noch verschont wird, sollen empfindliche Strafen auferlegt werden.

Andererseits finden die radikalen SAT-Aktivisten unter namhaften Künstlern und Intellektuellen immer neue Anhänger. Schriftsteller und Journalisten wie die katalanische Publizistin Esther Vivas sprechen sich für die Gewerkschaft aus: »Die Aktion der SAT mag illegal sein, aber sie spiegelt angesichts der Krise wieder, wie groß die Not ist und dass sich die Bedingungen verschärfen. Die derzeit legalen, aber ungerechten Arbeitsbedingungen sollten illegalisiert werden.« Vivas rief zur Solidarität mit denen auf, »die nicht resignieren und weiter kämpfen«.

Auch die Liste derer, die gegen die Verhaftung der militanten Gewerkschafter und die Repressionen durch das spanische Innenministerium protestieren, wird täglich länger. Aus Solidarität mit inzwischen neun Verhafteten haben sich etliche Prominente selbst angezeigt und den Ermittlungsbehörden freiwillig ihre Daten übergeben. Schauspieler Willy Toledo gehört dazu. Der bereits wegen seines Auftretens gegen den Irakkrieg abgestrafte linke Schauspieler macht immer wieder mit politischen Aktionen auf sich aufmerksam. In Jaen reite sich Toledo in den Protestmarsch ein und erlebte die Verhaftung militanter SAT-Aktivisten mit.

Gewerkschaftsführer Diego Cañamero will den Protest der SAT nicht abwerten lassen: »Wir werden immer als Linksextreme eingestuft, dabei verkörpern wir einfach das notwendige politische Extrem. Man versucht uns zu kriminalisieren und damit vom Volk zu isolieren. Wir wollen aber einfach nur die Stimme derer sein, die keine Stimme haben und die unter dem Drama von Arbeitslosigkeit, Zwangsräumung und Ausbeutung leiden.«

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