Das Geheimnis des Mistfladens

Bei den Göttinger Pionieren des Biohandels

  • Kai Böhne
  • Lesedauer: 4 Min.
Rund 65 Prozent der Deutschen achten beim Lebensmitteleinkauf immer oder meist auf regionale Herkunft. Sie wünschen sich natürliche Lebensmittel. Diesen vertrauen sie mehr als industrieller Massenware, hat die Stiftung Warentest festgestellt. Im Raum Göttingen hat man inzwischen fast 35 Jahre Erfahrungen in Sachen Regionalhandel mit Bioprodukten.

Der regionale Göttinger Biogroßhändler Naturkost Elkershausen ist längst viel bekannter als das gleichnamige 200-Einwohner-Dorf aus der Gemeinde Friedland (Niedersachsen). Dieser Ort steht für die Anfänge des regionalen Handels mit biologisch angebauten Erzeugnissen im Raum Göttingen im Jahr 1978. Heute erstreckt sich das Liefergebiet von Naturkost Elkershausen von den ostfriesischen Inseln, Oldenburg und Bremen im Norden, bis Bielefeld und Minden im Westen und Marburg und Fulda im Süden.

»In Göttingen gibt es eine hohe Bioladen-Dichte«, sagt Volker Schluseneck, der einen Gemüseladen im Göttinger Stadtteil Geismar betreibt. Vor zwanzig Jahren gründeten vier Biolandbetriebe den Laden in der Mitteldorfstraße. Seither wird er von über einem Dutzend regionaler Erzeuger mit frischem Obst und Gemüse sowie mit Käse, Milchprodukten, Eiern, Tofu, Honig, Geflügel, Rindfleisch und Wurstwaren beliefert.

90 Prozent Stammkunden

»Hier schmeckt das Gemüse nach Gemüse und das Obst ist perfekt«, lobt Stammkundin Anne Hefer. Die Kunden lieben die persönliche Ansprache und vertrauen Schluseneck, der genau weiß, woher seine Waren kommen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zeigt sich daran, dass der Gemüseladen über 90 Prozent seines Umsatzes mit Stammkunden macht.

In der Kräutergärtnerei Lichtenborn herrschte in diesem Sommer Hochbetrieb. »Zu unserem Kräuterfest Anfang Juni kamen über 2000 Besucher aus halb Deutschland«, sagt Gärtner Michael Brodda. Der studierte Geograf betreibt seit zehn Jahren eine Gärtnerei für Topfkräuter. Seit 2008 wirtschaftet das vierköpfige Gärtnerteam nach den strengen Demeter-Richtlinien.

Die bio-dynamische Anbauweise bedeutet, die Erde als lebendigen Organismus mit geschlossenen Kreisläufen wahrzunehmen. Für den bio-dynamischen Anbau sind drei Spritzpräparate maßgeblich, ein Hornkiesel-, ein Hornmist- und ein Fladenpräparat. »Die Präparate werden von uns eine Stunde lang einzeln in einem 200-Liter-Holzfass angerührt«, erklärt Brodda. Später werden die Pflanzen mit dieser Flüssigkeit besprüht. »Das Hornkieselpräparat regt die Lichtaufnahme der Pflanzen an. Das Hornmistpräparat stärkt die Wurzelbildung der Pflanzen.« Beim Fladenpräparat, das aus Kuhmist, Basalt und Hühnereierschalen besteht, sei laut Brodda eine besondere Eigenschaft festgestellt worden: So behandelte Pflanzen nähmen keine Radioaktivität auf. »Wir bauen Küchenkräuter, mediterrane Kräuter, Minzen, Duftpflanzen und historische Heilpflanzen an«, erläutert Broddas Partnerin Sylvia Mattauch. Ihre Kräutertöpfe vertreiben die Lichtenborner auf Kräuter- und Wochenmärkten und über einen eigenen Online-Shop als Paketsendung.

Die Rosdorfer Obermühle gehört zu den Pionieren im Göttinger Biohandel. »Bis Anfang der 1980er Jahre waren wir ein reiner Mühlenbetrieb«, erklärt Steffen Lücke, der heute den der Mühle angeschlossenen Naturkostladen leitet. 1986 begann die Zusammenarbeit mit der Bäckerei Backhaus. Die Biobäcker hatten Bedarf an Biomehl. »Wir ließen uns von Bioland zertifizieren und mahlten fortan Getreide auch für das Backhaus, das wir immer noch beliefern«, erzählt Lücke. »Wir wenden ein traditionelles Mahlverfahren an.«

Die Mühlentechnik stammt aus den 1920er Jahren und wurde in den 50er Jahren überarbeitet. »Sechs Doppelwalzenstühle lassen jeweils zwei Mahlwalzen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in die gleiche Richtung laufen. Eine spezielle Riffelung der Walzen verhindert, dass sich das Mehl durch den Mahlvorgang erwärmt. Das ist ein sehr schonendes Verfahren, die Nährstoffe bleiben dadurch erhalten«, führt Steffen Lücke aus. Etwa die Hälfte des gemahlenen Getreides stammt aus kontrolliert biologischem Anbau und ist für Biobäckereien bestimmt.

Gelobter Sauerteig

»Handwerkliches Können braucht keine Chemie« lautet einer der Grundsätze, nach denen in der Biobäckerei Backhaus gearbeitet wird. »Bei unserer Produktion sind uns vor allem drei Dinge wichtig«, betont Geschäftsführer Axel Artmann. »Traditionelles Handwerk, die Verarbeitung von Rohstoffen aus ausschließlich ökologischer und weitgehend regionaler Landwirtschaft und die Nutzung erneuerbarer Energien.« Das Backhaus verfügt über eigene Verkaufsstellen auf Wochenmärkten. Zwei Drittel der Produktion werden über den Naturkosteinzel- und Großhandel vertrieben.

Im Mai 2010 lobte die Wochenzeitung »Die Zeit« den vom Backhaus seit über 25 Jahren verwendeten Natursauerteig und zählte die Bäcker aus Klein Lengden zu »Deutschlands neuen Traditionsbäckern.« Im Oktober letzten Jahres nannte die kulinarische Zeitschrift »Essen und Trinken« das Backhaus eine von »zehn Adressen für gutes Brot« in Deutschland.

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