Kaya allein in der Schule

Neunjährige ist derzeit die einzige Schülerin auf der Nordseeinsel Neuwerk

  • Irena Güttel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei Klassenarbeiten abschreiben oder das Pausenbrot teilen - für Kaya unmöglich. Sie ist die einzige Schülerin auf der Nordseeinsel Neuwerk, die zu Hamburg gehört.

Neuwerk. Kaya Griebel ist eine Musterschülerin. Sie würde niemals ihre Hausaufgaben vergessen, den Unterricht stören oder gar schwänzen. Kann sie auch gar nicht, denn das würde auf Neuwerk sofort auffallen. Die Neunjährige ist die einzige Schülerin - in der ganzen Schule. Das findet sie aber nicht weiter schlimm. »Ich mag es gerne, allein zu sein. Ich bin das gewohnt.«

Kaya geht zurzeit in die vierte Klasse. Es ist ihr zweites Jahr als einzige Schülerin auf der nur drei Quadratkilometer großen Nordseeinsel, die mitten Wattenmeer liegt. Eigentlich würden Mathe und Deutsch an diesem Tag auf dem Stundenplan stehen. Doch das fällt diesmal aus - ausnahmsweise. Kaya und ihre Lehrerin Meike Müller-Toledo basteln Lampions zusammen. Anschließend will die Grundschülerin diese noch verzieren. An diesem Mittwoch feiert die Mini-Schule ihren 100. Geburtstag. Viele ehemalige Schüler werden vom Festland anreisen.

Neuwerk liegt rund 13 Kilometer nordwestlich von Cuxhaven, gehört aber seit Jahrhunderten zu Hamburg. Bei Ebbe stapfen Ausflügler in großen Gruppen zu Fuß durchs Watt oder kommen mit dem Pferdewagen. Ansonsten sind die 38 Einwohner auf der kleinen Insel abgeschnitten vom Festland. Einmal täglich fährt ein Schiff, das war's. Zur Schule pendeln - wie viele Kinder es zum Beispiel auf den ostfriesischen Inseln machen - ist nicht möglich.

Frau Müller-Toledo ist Lehrerin, Schulleiterin, Sekretariat und Hausmeisterin in einem. Sie unterrichtet alle Fächer und zwar jahrgangsübergreifend, zumindest dann, wenn wie noch vor zwei Jahren mehrere Kinder die Schule besuchen. Seit vier Jahren unterrichtet sie in dieser Abgeschiedenheit. Davor war sie viele Jahre Lehrerin im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. »Ich wollte mal was anderes«, erzählt die 52-Jährige. Ihre Kinder sind erwachsen, und als die Stelle auf Neuwerk ausgeschrieben war, zögerte sie nicht lange. Allein mit ihrem Hund zog sie auf die Insel - und hat es bisher keinen Moment bereut.

»Pädagogisch ist das eine Riesen-Herausforderung«, sagt die Lehrerin. Dass Kaya jetzt allein ist, heißt aber noch lange nicht, dass sie bei ihr ein Auge zudrückt. »Wir haben ganz normalen Unterricht wie an allen Hamburger Schulen.« Das schließt Klassenarbeiten, Zeugnisse, Wandertage und Klassenfahrten ein. »Ich brauche gute Noten, weil ich meinem Opa versprochen habe, dass ich Tierärztin werde«, sagt Kaya. Im nächsten Schuljahr wird sie deshalb wie ihre Schwester Janna und die vier anderen älteren Kinder von Neuwerk auf ein Internatsgymnasium gehen. Auch Müller-Toledo wird die Insel dann wahrscheinlich verlassen müssen. Als nächstes wird die kleine Karlotta in die Schule kommen, doch das dauert noch zwei Jahre. Deshalb wird die Schule im nächsten Sommer schließen.

Aber nur vorübergehend. Obwohl die Zahl der Schüler auf absehbare Zeit nicht steigen wird, hält Hamburg an der Inselschule fest. »Sie hat auf jeden Fall eine Bestandsgarantie«, versichert Peter Albrecht von der Schulbehörde. Die Hansestadt will das alte Schulhaus jetzt für 600 000 Euro sanieren lassen.

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