Längst noch keine Weiberwirtschaft

DGB: Frauen haben keine Wahl zwischen Beruf und Familie

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Frauen in Sachsen-Anhalt sollen die Wahl zwischen Familie und Beruf haben, heißt es im Koalitionsvertrag. Wunschdenken, sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und verweist nicht nur auf die Abwanderung junger Frauen.
Manchmal hat Christina Slomka kleine Erfolgserlebnisse. Die Beauftragte für Chancengleichheit im Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen hatte es geschafft, einer lange arbeitslosen Mutter zweier Kinder eine Weiterbildung und danach sogar Aussicht auf eine Anstellung zu verschaffen. Doch die Freude war von kurzer Dauer. In dem Unternehmen wird bis halb sieben gearbeitet. Einen Kindergarten, der so lange geöffnet hat, gibt es nicht mehr. »Eine Wahlfreiheit«, sagt Slomka enttäuscht, »ist nicht gegeben.« Wahlfreiheit heißt: Familienleben und Beruf sollen zu vereinbaren sein. Dies in Sachsen-Anhalt »für Mütter und Väter« zu ermöglichen, hat sich die schwarz-gelbe Landesregierung auf die Fahnen geschrieben - in einem Koalitionsvertrag, der sonst wenig zum Thema Gleichstellung zu sagen hat. Das ist kein Zufall, glaubt DGB-Expertin Petra Bratzke. Sie verweist auf den Streit darüber, ob es weiterhin eine Gleichstellungsbeauftragte geben soll. Nicht nötig, hatte Regierungschef Wolfgang Böhmer (CDU) zunächst entschieden und lapidar auf vermeintlich Erreichtes verwiesen: »Gleicher als gleich geht nicht.« Erst nach Protesten blieb wenigstens eine Frauenabteilung im Sozialministerium erhalten. Anders als vom Ministerpräsidenten postuliert, sind Frauen in Sachsen-Anhalt von einer tatsächlichen Gleichstellung weit entfernt, sagte die Gewerkschafterin Bratzke jetzt auf einer vom DGB zusammen mit dem Gender-Institut Sachsen-Anhalt veranstalteten Tagung. Dies belegt nicht zuletzt die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Zwar geht der einst sehr hohe Anteil von Frauen an der Arbeitslosigkeit langsam zurück. Allerdings haben sie bei den Langzeitarbeitslosen einen Anteil von fast 59 Prozent. Verantwortlich ist zum Teil die Wirtschaft, die Frauen widerwilliger einstellt, schlechter entlohnt und weniger befördert. Das zeigt sich besonders bei schlechter Konjunkturlage. Die »Einmündungschancen« junger Frauen in ihre Wunschberufe seien in Sachsen-Anhalt wesentlich schlechter als die junger Männer, erklärte die Gleichstellungsbeauftragte Slomka. Diese würden wegen der Krise im traditionell männerdominierten Baubereich zudem immer stärker auf »Frauenberufe« ausweichen. Die fehlende berufliche Perspektive gilt als wesentlicher Grund für die hohe Abwanderung besonders von Frauen im Alter zwischen 20 und 35 aus Sachsen-Anhalt. Die Folgen für die Bevölkerungsentwicklung im Land seien fatal, warnt Petra Bratzke. Sie fordert, neue Berufsfelder für Mädchen zu erschließen, um diese im Lande zu halten. Experten des Arbeitsamtes werben inzwischen bei Unternehmen mit Discounter-Slogans: »Bitte bevorraten sie sich! Dieser Artikel ist nur noch begrenzt vorrätig!« Kritisiert wird vom DGB auch die nach wie vor bestehende finanzielle Benachteiligung von Frauen. In Ostdeutschland verdienen diese für eine vergleichbare Arbeit nur 94 Prozent des Männerlohnes, sagt Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Der Wert liegt zwar fast 20 Prozent über dem im Westen. Das sei jedoch den insgesamt niedrigen Löhnen und den »geschwächten Männern« in Ostdeutschland geschuldet. Dass viele Frauen keine echte Wahl zwischen Familie und Beruf haben, liegt aber auch an Rahmenbedingungen, die von der Landespolitik gesetzt werden. Dazu gehören, wie das von Slomka genannte Beispiel zeigt, die Kinderbetreuung. In Thüringen gebe es in der Regierung inzwischen Stimmen dafür, das vorhandene gute Kindergarten-Netz als »Standortvorteil« zu verkaufen. In Sachsen-Anhalt dagegen wurde am Rande der Kabinettsklausur zum Sparhaushalt für 2003 erst diese Woche wieder über Verschlechterungen nachgedacht - was Eltern wie im Westen zunehmend vor die Wahl zwischen Kindern oder Karriere stellt. Und selbst der öffentliche Nahverkehr ist für die Berufschancen von Frauen entscheidend. In Arbeitsamt-Statistiken fällt auf, dass die Frauenarbeitslosigkeit in Regionen besonders hoch ist, in denen die Verkehrsverbindungen schlecht sind: »In den Familien gibt es oft nur ein Auto«, sagt Slomka, »und das fährt der Mann.«
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