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Bürgerrat: Gratis Gemüsebrei für Kitas?

Der Ernährungsausschuss diskutiert ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder

Schul- und Kita-Essen soll schmecken und nahrhaft sein – schon diesen Ansprüchen wird es nicht immer gerecht. Geht es nach dem Bürgerrat für Ernährung, ist es künftig außerdem gratis.
Schul- und Kita-Essen soll schmecken und nahrhaft sein – schon diesen Ansprüchen wird es nicht immer gerecht. Geht es nach dem Bürgerrat für Ernährung, ist es künftig außerdem gratis.

Ulrike Arens-Azevêdo von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung trägt ihre Argumente für ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder mit sichtlicher Begeisterung vor. Es wirke sich positiv auf die physische Verfassung von Jugendlichen aus, »und zwar kurzfristig, mittelfristig und langfristig«. Das soziale Klima der Institutionen würde sich verbessern und das Budget der Familien entlastet werden, das sei besonders wichtig für armutsgefährdete Familien. Außerdem würde das bessere Essen die Lernfähigkeit und Konzentration fördern, so Karrieren ermöglichen und hätte damit einen monetären Effekt für die gesamte Gesellschaft. Das zeigen, so Arens-Azevêdo, Studien aus den USA, China und Skandinavien. Aber ist eine solche Maßnahme in einem reichen Land wie Deutschland tatsächlich notwendig?

Ernährungsarmut war in Deutschland lange ein Randthema, die Versorgung mit Nahrung galt hierzulande als einigermaßen sicher. Dementsprechend fehlen auch Daten zur Situation, insbesondere jener von Kindern und Jugendlichen. Bei dem Begriff geht es aber nicht, wie häufig vermutet, um den Zugang zu Nahrung, sondern um Personen, die sich »aufgrund finanzieller Ressourcen nicht gesundheitsfördernd ernähren«. So definiert es die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Laut ihr sind in Deutschland 3,5 Prozent der Bevölkerung von Ernährungsarmut betroffen. Dem Armutsbericht des Paritätischen zufolge leben aktuell 16,8 Prozent der Bevölkerung in Armut, ein Fünftel davon sind Kinder.

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Auch der Frage, wie gut jene Betroffenen durch das Sozialnetz aufgefangen werden, lässt sich über Umwege begegnen. Eine Studie vom Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ging 2022 davon aus, dass Kinder zwischen 13 und 15 Jahren pro Tag zwischen 4,79 Euro bis 6,85 Euro pro Tag für nachhaltige Ernährung benötigen. Der damals dafür veranschlagte Hartz IV-Betrag lag bei 3,55 bis 4,27 Euro. Ende 2023 kam ein von der Linkspartei beauftragtes Gutachten der Rechtsanwälte Günther zu dem Ergebnis, dass die Regelsätze des Bürgergelds nicht mit dem Recht auf angemessene Ernährung des UN-Sozialpakts vereinbar sind. Durch die Pandemie und die Inflation hat sich die Situation verschärft.

Das zeigt sich auch bei den Tafeln, den gemeinnützigen Hilfsorganisationen, die Lebensmittel, die sonst nicht mehr verwendet würden, verteilen. Zwei Millionen Menschen nehmen die 970 deutschen Tafeln inzwischen in Anspruch. 36 Prozent der Tafeln hatten in den vergangenen zwei Jahren um etwa die Hälfte mehr Kund*innen, 22 Prozent eine Verdopplung und 16 Prozent mehr als eine Verdopplung, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Sozialverbände sehen diese Entwicklung auch im Bereich der Kinder- und Jugendarmut. »Wir beobachten mit großer Sorge, dass die Tafeln immer häufiger zur Versorgung der Jüngsten unserer Gesellschaft herangezogen werden«, so Michaela Engelmeier, Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), zu »nd«. Das sei in einem reichen Land wie Deutschland inakzeptabel.

So sieht es auch der Bürgerrat für Ernährung, wie dessen Vertreter Joseph Heiß berichtet. Die kostenfreie Mittagsverpflegung sei das Thema gewesen, das den Bürgerrat »von Anfang an nicht mehr losgelassen« habe. Dass die Zuständigkeit dafür bei den Ländern liegt, erschwert die Umsetzung. Trotzdem hat der Bürgerrat das Mittagessen als erste und damit wichtigste Empfehlung festgehalten. Manon Struck-Pacyna vom Lebensmittelverband Deutschland bezeichnete die Ideen des Bürgerrats am Montag im Plenum als »redlich, aber schwer finanzierbar«. Insbesondere, da es an vielen Orten keine Kücheneinrichtungen, kein Fachpersonal und keine Räumlichkeiten für Mensen gäbe.

Die Finanzierung der Maßnahme ist der Aspekt, der den linken Fraktionen Unbehagen bereitet. Der Bürgerrat will dafür die Erhöhung der Kindergrundsicherung umwidmen. Ein Streitpunkt der Kindersicherung war in der Vergangenheit, ob das Geld tatsächlich bei den Kindern ankommen würde. Expert*innen wie Judith Ranftler beteuerten wiederholt, für die Sorge gäbe es keine empirische Begründung. Dementsprechend hält Engelmeier vom SoVD eine Zweckwidmung nicht für sinnvoll. Der Bund solle die Länder aktiv bei der Einführung kostenloser, vitamin- und nährstoffreicher Verpflegung unterstützen. Darüber hinaus brauche es eine Kindergrundsicherung, die ihren Namen verdiene, und eine Neuberechnung der Bedarfe im Bürgergeld, um Ernährungsarmut zu bekämpfen. Zusammengefasst sieht der SoVD mehr Finanzierungsbedarf im gesamten Bereich Ernährung.

Die Gruppe Die Linke im Bundestag macht diese Woche bundesweit Aktionen vor Supermärkten, um auf gestiegene Lebensmittelkosten aufmerksam zu machen. Auch SPD und Grüne plädieren für eine rasche Umsetzung der Forderungen des Bürgerrats. Trotzdem dreht sich die Debatte im Ernährungsausschuss mehr um Bezuschussung statt Kostenfreiheit, unter anderem auch wegen des ungeklärten Haushaltsstreits. Fraglich bleibt außerdem, ob der Bürgerrat eine gute Plattform bietet, um das Thema Ernährungsarmut voranzubringen. Wie bereits zuvor Vertreter*innen von CDU und FDP, zweifelte Ingo Bodtke (FDP) die Sinnhaftigkeit des Bürgerrats diese Woche erneut an. Dementsprechend aufgeschlossen schien die FDP, die Vorschläge des Rats zu diskutieren.

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