Das alternative Herz schlägt in Altona

Das Dritte-Welt-Zentrum in Hamburg für Frieden, Ökologie und Menschenrechte

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit knapp einem Vierteljahrhundert gilt die Werkstatt 3 (W3) im Hamburger Arbeiterviertel Altona nicht nur als bedeutendste interkulturelle Begegnungsstätte im norddeutschen Raum, sondern auch als attraktives Veranstaltungs- und Bildungszentrum.

In der ehemaligen Seifenfabrik herrscht eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Die alten Wollsocken-Klischees werden hier nicht bedient - statt strickender Männergruppen, deren Tagwerk davon bestimmt ist, sich Müsli-Reste aus Vollbärten zu pulen, dominieren engagierte Fachleute den Alltag der W3. Das Zentrum beherbergt neben den angeschlossenen Dritte-Welt-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen ein Bistro mit internationaler Küche, einen Seminar- und Clubraum sowie einen Saal für Veranstaltungen. Im Werkstatt 3-Büro werden alle Vorgänge des Hauses organisiert, koordiniert und verwaltet - vom Veranstaltungskalender, über PR-Arbeit bis zur Erstellung von Finanzierungskonzepten.
Ende der siebziger Jahre hatten der Heiße Herbst, ein neuer Paragraf im Strafgesetzbuch sowie eine aus den Fugen geratene Medienmaschine die bundesdeutsche Linke unter dem Stigma der »terroristischen Vereinigung« zwangskollektiviert. In dieser bleiernen Zeit richteten rund ein Dutzend politische Initiativen aus der Dritte-Welt-Bewegung ein Kommunikations- und Informationszentrum ein. Die Gruppen hatten sich zusammengetan, »um Aufklärung über die prekäre entwicklungspolitische Situation der Menschen auf der Südhalbkugel zu leisten, aber auch um Synergieeffekte zu erzielen«, erinnert sich Gründungsmitglied Bernhard Riggers. 1978 war zunächst der Trägerverein Werkstatt 3 ins Leben gerufen worden. Einige Monate später mietete der Verein drei Etagen der Dralle-Werke im Herzen des traditionellen Arbeiterviertels Altona an. Zwei Jahre später nahm die Ottensener Werkhof GmbH einen umfangreichen Um- und Ausbau der Fabrikanlage vor. Einziger Gesellschafter des Werkhofs ist der Verein »Zusammen Leben und Arbeiten«, eine Nutzergemeinschaft aus W3-Gruppen, Handwerksgemeinschaften und Initiativen.
1994 beschloss die W3, die Fachabteilung »Bildungswerk« zu gründen. Haupt- und Paradeprojekt ist das »Schulcafé/ Open School 21«, in Anlehnung an die Agenda 21, die 1992 auf dem Erdgipfel in Rio verabschiedet wurde. Das Kinder- und Jugendprogramm wird seit sechs Jahren für alle Schulformen angeboten. Auf vielfältige Weise werden Heranwachsenden globale Lernziele - wie die Bereitschaft zu Frieden und Völkerverständigung oder zum Schutz der Natur - anschaulich nahe gebracht. Das Bildungswerk organisiert Gastspiele von Theatergruppen wie dem Straßenkinder-Projekt »Most United Knowledgeable Artists« aus Johannesburg, Filmvorführungen, Vorträge über vegetarische Ernährung oder Rundfahrten zu Stätten dunkler kolonialer Vergangenheit. Sehr beliebt sind auch Workshops, in denen sich Schüler und Lehrer Fertigkeiten wie den Bau afrikanischer Musikinstrumente aneignen können. »Wir beschränken uns nicht auf die in Europa überlieferte kognitive Vermittlung von Inhalten, sondern setzen auf kreative, spielerische, ganzheitliche Methoden«, erläutert Projektleiterin Friderike Seithel das Konzept. Und das ist erfolgreich: In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der Teilnehmer von 2850 auf 5600 pro Jahr verdoppelt. Dennoch leidet das Bildungsprogramm unter chronischer Unterfinanzierung. Sein Fortbestand ist sogar bedroht. Die Subventionierung durch die Europäische Kommission läuft Ende nächsten Jahres aus. »Damit sich die Open nicht in eine Closed School verwandelt, haben wir einen Förderverein gegründet«, erklärt die Ethnologin und hofft nun auf regen Zulauf von Unterstützern. Eine andere tragende Säule der Werkstatt 3 sind die zahlreichen interkulturellen Veranstaltungen: Welt-Musik-Konzerte, Lesungen, Diskussionsabende. Zurzeit läuft die Reihe »Zentralasien in der Zerreißprobe« mit Themen wie die »Unterdrückung der Tibeter durch China«, über die ein Mönch aus Lhasa berichtet.
In den letzten Jahren muss die W3 mit rückläufigen Besucherzahlen kämpfen. »Besonders junge Leute lassen sich heutzutage nicht leicht begeistern«, berichtet Antonio Borralho. Der Pädagoge gehört nicht nur dem dreiköpfigen Vorstand des Trägervereins an, sondern ist auch einer von neun hauptamtlichen Mitarbeitern, die sich das Zentrum leistet. Obwohl sich die Vergütung im Niedriglohnsektor bewegt und Borralho bei den zähflüssigen Meinungsfindungsprozessen der Mitgliederversammlungen viel Geduld aufbringen muss, erfüllt ihn das »selbstverantwortliche Arbeiten in der W3 mit großer Freude«. Interne Machtkämpfe und heftige Attacken aus dem konservativen Lager der Hansestadt haben der W3 zwar seit ihrer Entstehung zugesetzt, aber ans Aufgeben denkt hier keiner: Die ökonomischen Verhältnisse, unter denen besonders Menschen jenseits des Äquators leben müssen, sind nicht gerechter geworden. Die Umweltbedingen haben sich sogar dramatisch verschlechtert, gibt W3-Vorstand Riggers zu bedenken. Und die Besatzung hat viel gelernt: »Wir haben uns über die Jahre ein differenziertes Wissen angeeignet«, betont Friderike Seithel. Das hat die Kulturbehörde schon längst registriert. Sie konsultiert das Zentrum immer häufiger als kompetenten Ansprechpartner für Dritte-Welt-Fragen.

Bisher erschienen in dieser Serie: Halle (7.2.), Jena (7.3.), Frankfurt am Main (25.4.), Dresden (16.5.), Magdeburg (13.6.), Freiburg (18.7.), Leipzig (15.8.) und Potsdam (17.10.).

Informationen:

Werkstatt 3 - Bildungswerk, Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg, Tel. 040 - 39 21 91, www.werkstatt3.de,
Open School 21, www.welt-klasse-lernen.de,
Förderverein: HASPA, BLZ 200 50 550, Konto-Nr. 126 810 80 22.

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