Walter Womacka: Er schuf das berühmteste Bild der DDR, lehrte Studentengenerationen, nannte Politiker und Diplomaten beim Vornamen, wurde hoch
gelobt und über Nacht geschmäht und gemieden. Heute macht der 76-Jährige nichts anderes als was er sein Leben lang machte: Er malt wie besessen.
Ach wissen Sie, ich habe in der ganzen Welt ausgestellt, in großen Museen und Galerien...« Der weißhaarige Mann schlurft in Hausschuhen zum Regal, schiebt hier ein Bild zur Seite, nimmt da eine Keramik in die Hand. Die Frage, ob es einen Ort gibt, an dem er gern einmal ausstellen möchte, bleibt unbeantwortet. Drei Ausstellungen hatte er allein in diesem Jahr. Eine Zahl, die von unerhörtem Fleiß und großer Energie zeugt. Jetzt spricht er mehr zu sich selbst: »Hier sieht es aus! Die Bilder, die aus Tschechien zurückgekommen sind, müssen ausgepackt werden. Da oben, Zeitungsartikel aus den letzten zwei Jahren, und hier, alles, was aufgearbeitet werden müßte...« Es klingt fast ein wenig verzweifelt.
Walter Womacka ist im »Depot«, dem Raum neben seinem Berliner Atelier. Er streicht mit den Fingern über Bücherrücken und zieht dann wahllos eines der Fotokistchen heraus: Reisen nach China, Taiwan, Irak, Kuwait, Saarbrücken, Ecuador, Damaskus. Er klappt die Schachtel zu, öffnet eine andere. Vergangenheit in Schwarz-weiß steigt heraus: am Vesuv, in Sibirien am Lagerfeuer, im Urwald mit Frau Hanni, in Mexiko beim Stierkampf, dazwischen immer wieder Ausstellungen auf vier Kontinenten mit Eröffnungsrednern, deren Fotos auf den Titelseiten großer Zeitungen prangten. Wie viele Arbeiten - Mosaike, Emailarbeiten, Glasfenster, Ölbilder, Grafiken, Aquarelle, Gouachen, Vasen, Wandteller - der Mann in seinem Leben geschaffen hat, keiner weiß es. Auch er nicht. Tausende? Zehntausende?
Wer einen Womacka im Original sehen will, muss nicht unbedingt ins Museum gehen. Dort hat man vielleicht nicht mal Glück. »Wenn Kommunisten träumen« aus dem »Palast der Republik« lagert im Keller des Deutschen Historischen Museums Berlin. Sein berühmtestes Bild, »Junges Paar am Strand«, befindet sich im Depot der Staatlichen Kunstsammlung Dresden. Ungezählte Reproduktionen hingen zu DDR-Zeiten in Mädchenzimmern und Polikliniken. Es fand Eingang in Bücher und ging in hohen Auflagen ins Ausland. Die Naivität vieler seiner Bilder, die Klarheit architekturbezogener Kunst spricht den Betrachter immer noch oder wieder neu an. Wie der Mosaikfries »Unser Leben« aus dem Jahr 1964, der dank Sponsoren derzeit für 750000 Euro im Harz aufwändig restauriert wird. Als Willi Stoph das »Haus des Lehrers« am Alexanderplatz damals feierlich einweihte, waren die Künstler nicht einmal eingeladen. Der Fries aus Tausenden bunter Glassteine steht inzwischen unter Denkmalschutz: die Mutter mit dem Kind, die Gärtnerin und der Wissenschaftler, der Bauer und der Soldat, die Friedensfahrer und der Ingenieur, auch wieder das Liebespaar. Sie künden nicht nur von den Utopien des untergegangenen Sozialismus, sondern auch von der Sehnsucht nach einem friedlichen Leben, nach Glück und Harmonie. Manche nennen das Kitsch. Für Womacka steckt darin das Ideal. »Letztlich ging es ja immer und geht es bis heute um den Frieden«, sagt er.
Das nach über zehn Jahren wieder erwachte Interesse der Öffentlichkeit an seiner Kunst erstaunt, ja amüsiert den Künstler. Viele Jahre war es still um ihn geworden, den manche nun als »Hofmaler« bezeichneten. Seine baugebundenen Kunstwerke im früheren Außenministerium fielen der Abrissbirne zum Opfer. »Vielleicht meine besten Arbeiten«, sagt er. Verarbeitet hat er das Erlebnis in »Rückbau« (1996), verwunden kaum. Aber es gibt auch wieder Ausstellungen, Ehrungen und Einladungen. Als das Kanzleramt vorübergehend im alten Staatsratsgebäude unterkam, ließ sich Gerhard Schröder gern vor den bunten Glasfenstern mit den fröhlichen Traktoristen Womackas fotografieren.
Eine Episode, die viel und nichts aussagt über den Künstler, der bei Fischern und Bauern in der Natur zeichnete und zugleich am Tisch der Mächtigen tafelte. »Am 11. Oktober 1945 stand ich mit einer alten Uniform, dem Militärmantel, einer Decke und 20 Mark Entlassungsgeld in Braunschweig am Hackenmarkt. Das war der Ausgangspunkt. Von da an hab ich von niemandem mehr etwas bekommen. Alles andere hab ich auf Grund meiner Begabung und meiner Arbeit erreicht.« Dem bescheidenen Mann fallen solche Worte des Eigenlobs schwer. Er schleudert sie mit Mühe aus sich heraus, wie zur Selbstverteidigung.
Kunstreisender der DDR
Walter Womacka wurde 1925 im böhmischen Obergeorgenthal (Tschechien) geboren. In der Schule war er faul, gibt er preis und lacht in sich hinein. Das änderte sich schlagartig, als der 15-Jährige seine Ausbildung als Dekorationsmaler in Teplice begann. Die Zeichnungen jener Jahre sind fast alle verloren. »Ich hatte eine sehr schöne, aber entbehrungsreiche Jugend«, erzählt er. Sein Blick geht ins Nirgendwo, er atmet schwer: »Mein Vater war Gärtner, arbeitslos. Und weil ich im Dezember geboren bin, kam ich schon mit siebzehneinhalb zum Militär.«
Ostfront, Estland, 1944: Durch eine schwere Verwundung verlor der talentierte junge Maler fast seinen rechten Arm. Als er im April 1945 das Lazarett in Berlin verließ, stand die Rote Armee schon vor den Toren der Stadt, und der Soldat fuhr mit der S-Bahn zur Front. »Vor Erkner löste sich alles auf. Ich hab mich abgesetzt und bin blödsinnigerweise den Amerikanern in die Arme gelaufen.« Während er in einem Lager mit zig Tausenden ohne Dach über dem Kopf dahinvegetierte, wurden die Eltern und die beiden Brüder aus ihrer Heimat ausgewiesen. Sie ließen sich in Thüringen nieder. Es dauerte, bis man sich wiederfand. Knapp 20-jährig wurde Walter Womacka nach Braunschweig entlassen. Dort begann er als Landarbeiter. Doch schon 1946 setzte er seine Studien an der Meisterschule für gestaltendes Handwerk in Braunschweig fort. Ab 1949 studierte er an der Hochschule für Baukunst und bildende Künste Weimar. Hier öffnete sich für ihn der Zugang zur Wandmalerei. 1951 ging er nach Dresden und begegnete u.a. Hans und Lea Grundig. Ab 1953 Berlin, Kunsthochschule Weißensee: Assistent, Dozent, Professor, Leiter der Abteilung Malerei. Als Rektor der Hochschule, Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler und Mitglied der Akademie der Künste galt er nicht nur als Nestor der Bildenden Kunst, sondern war auch ein Privilegierter, ein Reisender und Botschafter in Sachen DDR.
»Wir hatten nie das Bedürfnis nach Besitz oder einem großen Konto, auf Statussymbole legen wir keinen Wert«, sagt Walter Womacka. »Wir brauchen immer weniger, kein Grundstück, kein Auto, wir wollten nie ein Haus.« Wer dem Künstler einmal gegenüberstand, glaubt ihm sofort. Er ist freundlich, zurückhaltend, ohne Allüren. Natürlich besitzt er Grundstück, Haus und fuhr schon immer ein nobleres Auto. Natürlich hat er anders gelebt, als die große Masse. Natürlich ist es ihm besser gegangen. Warum auch nicht? Vielleicht, weil das Gesellschaftssystem, dem er sich verschrieben hatte, die Gleichheit aller propagierte?
20 Jahre lang führte Prof. Walter Womacka die Kunsthochschule durch bewegte Zeiten und Ströme. Da muss einer ausgleichen können, zusammenführen, auch taktieren. Die DDR-Künstler waren ein eigenes Volk, sie wurden beargwöhnt und gefürchtet, manche ließen sich hofieren und benutzen, andere haben sich verweigert. Einige fand man in der dunklen Nische, andere »auf der schmalen Sonnenbank«.
Der schwarze Stier
Walter Womackas persönliche Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie wurde auf große Häuserwände projiziert, gesellschaftliche Widersprüche blieben ausgespart. Das waren die Sechziger. »Diese Zeit, in der man dachte, dass es nur besser wird.« Er fragt: »Staatskünstler? Was ist das? Michelangelo, Raffael waren Staatskünstler. Ich befinde mich in guter Gesellschaft! Bis heute gibt es Künstler, die vom Staat gefördert, ausgestellt und gekauft werden.«
Die Achtziger brachten auch bei ihm Bilder hervor, die der Staat weniger gern herzeigte (z.B. »Strandmüll« 1981). Bis auf die architekturgebundenen Arbeiten hat Womacka nie ein Bild im Auftrag gemalt, auch nicht den Zyklus über Erika Steinführer. »Ich wollte meine Freiheit behalten.« Bei ihm sind Staatsoberhäupter, Minister und Geheimdienstchefs ein- und ausgegangen. Waren Leute wie er nicht schon wieder anders frei? Er nickt: »Die Frage ist, wie man diese Freiheit nutzt.« Womacka schweigt. Genervt? Erschöpft? Sein Metier ist das Bild, nicht das Wort, doch dann fährt er fort: »Ich konnte vieles sagen. Aber ich habe nie aus reiner Eitelkeit mit meinen Äußerungen dem Staat geschadet. Ich kannte die Welt. Die BRD war für mich keine Alternative.«
Frieden, Umwelt, Mensch, Natur - das sind die Themen, die sich bis heute durch seine Bilder ziehen. Vom grünen Atelier-Sofa mit den geschwungenen Beinen fällt der Blick auf eine Serie großformatiger Ölbilder. Der schwarze Stier: getroffen, noch im Todeskampf vor Kraft strotzend, stolz. Ein Bild kostet bis zu 10000 Euro. Es gibt fünf. Viel ist über diese Stiere geschrieben worden. Das Gleichnis wurde verstanden. »Nein, ich glaube nicht, dass man mit Malerei die Welt verändern kann. Aber ich habe den Willen, mit den im Grunde geringfügigen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, beizutragen, den Menschen ein wenig die Augen zu öffnen. Auch wenn ich dabei als altmodisch oder Schönfärber bezeichnet werde.« Er schluckt, zögert und sagt: »Ich möchte kein anderes Leben gelebt haben. Es war entbehrungsreich, vor allem in der Jugend. Aber vielleicht war das gut, dass man so angefangen hat. Ich hab Schlimmes erlebt und schnell gemerkt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Kontraste, die gehören zum Leben und auch zur Kunst. Aber ich hatte das Glück, den richtigen Beruf gewählt zu haben, und frühen Erfolg. Natürlich darf man sich nicht berauschen lassen von Lob und Lobhudelei. Ich bin auch kritisiert worden, ganz gemein, früher schon, denn wo Erfolg ist, gibt es Missgunst und Neid. Man muss sich selbst kritisch sehen.«
Womacka wird jetzt wieder häufiger interviewt. Es sind andere Fragen als früher. Er stellt sich ihnen, obwohl er die gedruckten Antworten oft vorhersieht. In diesen Wochen ist der Maler viel beschäftigt. Er saß nie im Elfenbeinturm, er hockte sich nicht in die Schmollecke. Die Termine sitzen eng. »Ich dachte immer, dass das mal besser wird. Aber es ist wiederum gut so«, sagt er mit leiser Stimme. Frau Hanni wacht über die wertvolle Zeit: Lebenszeit und Schaffenszeit. Sie bedient das Telefon, begrüßt an der Tür, weist den Weg zum Atelier, sorgt für Kaffee und manches Mal auch für den höflichen Rausschmiss. Eine energische Frau, die ihr Leben der Kunst ihres Mannes untergeordnet hat, mit ihm die Welt sah und doch im Hintergrund bleiben will. »Mit ihrem untrüglichen Urteil ist sie meine beste Kritikerin«, meint W. W. »Nein«, sagt sie streng, sie gibt keine Auskünfte. Was sie an ihm schätzt, sei seine Schaffenskraft, ja. Aber das müsse sie ihm doch nicht sagen. »Das weiß er auch so.« Punkt.
»Eine Konsequenz, die manchmal hart anmutet«, fasst ihr Ehemann später zusammen. Aber da seien immer auch Ehrlichkeit und Mitgefühl. Im Atelier hängt an prominenter Stelle das Porträt einer jungen Frau mit entblößtem Oberkörper, deren blondes Haar bis auf die nackte Schulter fällt. Der Blick aus blauen Augen wirkt ernst und versonnen. Die klaren Züge signalisieren eine Kraft, die man auch heute im Original noch findet. Wenn Walter Womacka von seiner Familie spricht, wird er ganz weich. Als die einzige Tochter in den späten Siebzigern ihrer Liebe nach Zypern folgte, müssen sie sehr gelitten haben. Denn mit Tochter Uta ging auch die damals dreijährige Enkelin Anna. Für Womackas freilich war die Insel im Mittelmeer nie so unerreichbar weit weg wie für andere. So blieb man sich nah. »Jetzt im Juli waren alle in Loddin«, erzählt der Vater, Großvater und Urgroßvater.
Loddin auf Usedom, da hat er seit Jahrzehnten Atelier, Wohnhaus und tiefe Wurzeln. In seiner zweiten Heimat am Achterwasser sind viele Arbeiten entstanden, ungezählte Landschafts-, Blüten- und Blumenbilder, auch die Idee zu »Junges Paar am Strand«. Die Liebe zur Natur hat Womacka vom Vater übernommen. »Als wir 1961 auf die Insel kamen, hatte ich in Berlin die architekturgebundenen Aufträge. Dies war mein Ausgleich,« sagt der Maler. »Aber immer nur Blumen, das würde mich nicht ausfüllen. Mein zentrales Thema ist der Mensch.«
Der Austausch fehlt
Walter Womackas Ausstellungseröffnungen wie zuletzt am 9. November in Berlin sind Treffpunkte und Kommunikationsorte. Der Westberliner Film- und Fernsehproduzent Manfred Durniok, Sponsor des Chinesischen Gartens von Marzahn, war da, mit ihm kam Markus Wolf. Auch die Künstler suchen sich. Der Austausch fehlt. Die Malerin und Grafikerin Heidrun Hegewald sagt spontan, sie komme zu Womacka »aus freundschaftlichen, kollegialen und Haltungsgründen«. Andere, die früher in der Politik waren, vermuten hinter der einfachen Frage nach Woher und Wohin eine Provokation und wenden sich ab.
In gewisser Weise ist Womackas öffentliche Präsenz eine Seltenheit, auch seine Ausstrahlung bleibt begrenzt. Die bildenden Künstler aus dem Osten finden im gesamtdeutschen Kanon kaum statt. Renommierte Kunstsammler wie der verstorbene Peter Ludwig aus Aachen waren die Ausnahme. »Sicher würde ich gern die wesentlichsten meiner Arbeiten noch einmal zeigen. Aber man hat ja gesehen, wie es Willi Sitte in Nürnberg ergangen ist...« Wenn man nach einem Ort fragt, an dem er gern ausstellen möchte, wird er im Stillen an eine repräsentative Werkschau denken, zum 80. vielleicht - wie es unter anderen Vorzeichen geschehen wäre. Doch er antwortet: »Das ist heute überhaupt nicht drin. Ich sehe das ganz realistisch.« Dennoch kehrt der Maler Tag für Tag zu seiner Staffelei zurück. Er kann nicht anders. Und er tut nur, was er immer getan hat. Er malt.
Die Ausstellung »Walter Womacka 2002« im Palais am Festungsgraben in Berlin-Mitte ist noch bis zum 22.12. 2002 täglich von 13 bis 20 Uhr geöffnet (Eintritt frei). Der Künstler ist am Sonntag, dem 15.12.2002, von 15 bis 18 Uhr anwesend.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen.
Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf
www.dasnd.de/genossenschaft