Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Kultur
  • Brechts „Anachronistischer Zug“ auf dem Weg nach Berlin

Und wieder fuhr ein Trabi am Schluß des Trecks

  • Lesedauer: 2 Min.

„Der anachronistische Zug“ treckt gen Osten. Anders als vor zehn Jah* ren, als er zur Bundestagswahl noch in Bonn eintraf, nahm er nun dort seinen Anfang und zieht in diesen Tagen bis an Oder und Spree. Gestern Leipzig, heute Dresden, morgen Hoyerswerda ... Am 2. Dezember will man in Berlin eintreffen. Ein erschreckend aktueller Treck, die nun von der Wirklichkeit schon fast eingeholte Vision des 1947 von Brecht geschriebenen Gedichts „Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy“.

Zufall, daß der (Feld-)Zug die ehemalige innerdeutsche Grenze am Büß- und Bettag überschritt. Innere Einkehr und Besinnung.

Jene, die am Abend vor den Stufen des Erfurter Doms das gespenstische Spektakel erlebten, haben wohl schon längst inne gehalten. Anderen, die meist staunend, auch irritiert, die Straßen säumten, dämmert es vielleicht erst allmählich. Was geschieht eigentlich mit uns Ex-DDR-Bürgern, deren einstige Losung „Wir sind das Volk“ nun ein Bundeswehrgeneral dem Zug der hohen Beamten, der Steuer-Spenden-Zins-Eintreiber ,voran trägt.

Zum ersten Mal seit 1945 darf ein deutscher General Einzug in ein friedlich erobertes Gebiet halten. Im Gefolge u.a. gepanzerte Wagen der Commerz-Bank, Dresdner Bank, Deutschen Bank. Ein wenig

verloren flattert da an einem Trabant, der den Schluß des Trecks bildet, auf weißem Tuch „Wir waren das Volk“. Während Brechts Gedicht, rezitiert von Wolf-Dieter Goock, Schauspieler an den Sächsischen Landesbühnen, über den Erfurter Domplatz hallt, agieren etwa 150 Laienkünstler, ganz im Sinne des Dichters. So ziehen zur Strophe „Ihre Gönner dann, die schnellen / Grauen Herrn von den Kartellen:/ Für die Rüstungsindustrie / Freiheit und Democracy !“ dunkle Mercedes-Limousinen durch die Szenerie.

Auf die Aktualität verweist auch der Antifaschist Emil Carlebach, der zu den Erfurtern spricht. Er erinnert an die mit dem anachronisti-

schen Zug ins Ostgebiet zurückkehrende IG Farben und daran, daß die Bundesrepublik heute den höchsten Rüstungsetat in ihrer Geschichte hat. Neben 33 Persönlichkeiten aus dem Westen und dem Osten Deutschlands, wie Jutta Ditfurth und Bernt Engelmann, wie, Johanna Schall und Gregor Gysi, gehört Thomas Schmitz-Bender zu den Befürwortern des Projekts, aber gleichzeitig auch zu seinen Organistoren..Er sagte: „Auf jeden Fall ist der Zug so angelegt, daß die Reaktionen auf ihn, einschließlich der Reaktionen von Staatsorganen, die interessanteste Seite an ihm sind.“

ANNETTE RUDOLPH

- Anzeige -

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.