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  • Politik
  • HARALD ZIEL, Bürgermeister mit PDS-Mandat in Pokrent, Kreis Gadebusch: Der Sozialabbau läßt kaum eine Familie aus

Manchmal ist es wie ein Kampf gegen Windmühlen

  • HANS BRANDT
  • Lesedauer: 5 Min.

Nicht viele Bürgermeister gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, die der PDS angehören. Einer von ihnen ist Harald Ziel, 44, schon seit 1987 in Pokrent, Kreis Gadebusch, im Amt. Dabei hatte die PDS dort bei den Kommunalwahlen nicht etwa die Mehrheit. Im Gegenteil, sie erhielt nur drei von 19 Sitzen, elf bekam die Bürgerbewegung. Wenn manchem auch Harald Ziels Parteibuch nicht gefiel – ihn mochten sie. Wie kommt er jetzt als Bürgermeister zurecht?

Harald Ziel beginnt mit einer überwiegend positiven Analyse der dörflichen Vergangenheit. „Wir haben bei uns auf kameradschaftliche Weise in der Gemeinde und für die Gemeinde zusammengearbeitet“, benennt er das für ihn Wichtigste. „Wir“, das sind 625 Bürger in Pokrent, Altpokrent, Pokrent Meierei und Neuendorf. Groß sei immer die Bereitschaft gewesen, mit freiwilliger unentgeltlicher Arbeit die Gemeinde wohnlicher zu machen...

Die Vergangenheit ist aber, selbst aus kommunaler Sicht, längst nicht rosarot, werfe ich ein.

„Natürlich nicht“, greift Harald Ziel den Gedanken auf, „und ich trage meinen Teil Schuld daran. Dazu stehe ich. Deshalb mach' ich angesichts der heutigen Not nicht < in DDR-Nostalgie, wie ich auch' positive Leistungen der Vergangenheit nicht schlecht machen lasse. Als Klempnermeister kenne ich die Sorgen und Probleme der Ein-

wohner auch aus früherer Sicht. Darum war ich entsetzt, als ich von den Luxusheimen der ehemaligen Partei- und Staatsführung erfuhr, während wir in der Gemeinde alles selbst machten und sparten, wo immer wir konnten, um zum Beispiel unseren Kindergartenanbau mit etwa 80 000 Mark Eigenleistungen f ertigzubekommen.“

Andererseits erleben die Pokrenter heute, daß sie um diese Einrichtung, die sie nicht missen möchten, kämpfen müssen. Es sei sehr schmerzhaft, so der Bürgermeister, daß die Mehrheit im Ort den bisherigen Lebensstandard nicht einmal annähernd halten kann. Es hatten nunmal alle Arbeit, und die soziale Sicherheit für Junge wie Alte war garantiert. Niemand brauchte um seine Wohnung zu fürchten. „Was wir gegenwärtig an sozialer Unsicherheit erleben, damit hat niemand gerechnet. Die Bereitschaft der Pokrenter, die Wende bestmöglich mitzugestalten, wird so nicht honoriert.“

Nun steht die PDS im Bonner Bundestag und im Schweriner Landtag in Opposition zur Regierung. Deren Gesetze muß der Bürgermeister aber verwirklichen. Wie kann er damit leben?

„Ich habe einen Treueeid abgelegt, die Rechtsstaatlichkeit und das Grundgesetz anzuerkennen. Zu diesem Eid stehe ich, das kann gar nicht anders sein. Die PDS hat sich selbstverständlich auch zum Grundgesetz bekannt. Ich bin vom

Grundgesetz verpflichtet, genauso wie ich den Bürgern verpflichtet bin, die mir ihr Vertrauen schenkten. Daraus muß kein Widerspruch resultieren. Es kann aber durchaus für mich zu Konflikten führen.“

Bei den Genossenschaftsbauern zum Beispiel sieht es schlimm aus. „Die LPG-Mitglieder hatten früher aus ihrer individuellen Wirtschaft erhebliche Einnahmen. Die sind ersatzlos weg. Die 10 000 bis 12 000 Mark aus genossenschaftlicher Arbeit haben sie aber auch nicht mehr sicher. Denn von den 90 LPG-Mitgliedern, von denen 66 ständig gearbeitet haben, sind nur noch 20 vollbeschäftigt. Die anderen sind in Vorrente oder in Kurzarbeit Null.“ Der Sozialabbau lasse kaum eine Familie aus. Deshalb dürfe man nichts beschönigen: Politischer Pluralismus, freie Marktwirtschaft seien wohl ein Fortschritt gegenüber früher, aber sie hätten eben auch Schattenseiten.

Gibt es denn Freiräume bei der Anwendung der Gesetze und Anordnungen?

Harald Ziel betrachtet es als seine Pflicht, solche Freiräume zu suchen. In der Gemeinde werden beispielsweise zehn arbeitslose LPG-Mitglieder über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt. „Wir waren wohl eine der ersten Gemeinden, die das getan haben. Bei einer LPG-Versteigerung in Schönberg kauften wir uns einen Wohnwagen, einen Traktor, Werkzeug und Motorsägen. Die ABM-

Kollegen bringen nun vielfältigen Nutzen für die Gemeinde und entlasten die LPG etwas. Sie pflegen Gehölze rund um das Dorf und liefern Rentnern Heizmaterial. Sie helfen beim Bau von Wegen und Bürgersteigen und überhaupt bei der Verschönerung der Gemeinde.“ Wer heute nicht kämpfe, der könne gleich aufgeben, auch wenn man manchmal das Gefühl habe, gegen Windmühlen anzugehen.

Die LPG ist größter Betrieb und Arbeitgeber im Ort, ohne sie wäre Pokrent nicht lebensfähig. Mit 1 000 Hektar bewirtschafteter Fläche, mit 3 000 Mastschweinen, 180 Sauen sowie rund 200 Milchkühen in den Ställen war sie völlig schuldenfrei bis zur Währungsunion. Sie ist es faktisch auch heute noch und dennoch vom Konkurs bedroht. Diese starke LPG steht vor der Auflösung, letztlich deshalb, weil dringend benötigte Kredite verweigert, werden. Vielleicht wird sie nun in eine GmbH übergeleitet; denn privat wirtschaften will nur ein einziges LPG-Mitglied.

Auf diese Vorgänge mit ihren für die Gemeinde so gravierenden sozialen Auswirkungen hat der Bürgermeister kaum Einfluß. Bisher gibt es überhaupt keine spürbaren Anstöße für eine Kommunalordnung. Ein kleiner Lichtblick ist für Harald Ziel die jüngste Initiative der PDS-Fraktion im Landtag Mecklenburg/Vorpommern, eine Gemeinde- und Landkreisordnung zu schaffen. Wenn dieser Vorschlag

auch bei der Regierungsmehrheit von CDU und FDP wenig Chancen hat, so ist es wenigstens eine Herausforderung an diese, sich selbst auf dieser Strecke in Bewegung zu setzen.

Die Landwirtschaft müsse zur Zeit noch Haupterwerbszweig bleiben, resümiert der Bürgermeister. Das „zur Zeit“ macht mich stutzig. Was könnte die Landwirtschaft ausstechen?

Harald Ziel hat ein ganzes Programm im Kopf. Neben der Ansiedlung weiterer Gewerbetreibender – 20. sind es schon – spielt darin der Kiesabbau eine wichtige Rolle. Pokrent hat das größte Vorkommen im Kreis. Die Fernverkehrsstraße Schwerin-Lübeck verläuft nicht weit entfernt, und, so denkt der Bürgermeister, mit weiterer verarbeitender Industrie könnten ein zusätzliches Standbein, für die Gemeinde und Arbeitsplätze für die Bürger entstehen. „Und Pokrent liegt in einem landschaftlich reizvollen Gebiet“, schwärmt Harald Ziel. „Als Naturschönheit sucht die Rotbuchenallee zwischen Pokrent und der Nachbargemeinde Renzow ihresgleichen. Bekannt ist das Neuendorfer Moor, und eine Befestigungsanlage aus dem 12. Jahrhundert könnte dem Vergessen entrissen werden.“

Sanften Tourismus heimisch zu machen – das schwebt vielen in der Gemeinde vor, auch um den Bauern Nebeneinkünfte zu ermöglichen.

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