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Londoner Gegengipfel: ,Der 3. Weltkrieg hat begonnen ...'

  • BRUNHILD DE LA MOTTE, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als 4 000 Journalisten drängen sich im Lancaster House, um über das Gipfeltreffen der 7 reichsten Länder der Welt zu berichten. Wieviel wird wohl von dem alternativen Gipfel, der gleich nebenan stattfindet, an die Öffentlichkeit dringen? Die Konferenzräume für diesen „Gipfel von unten“ jedenfalls, der seit 1984 parallel zu den Treffen der Mächtigen stattfindet, waren völlig ausgebucht.

Auf der Einladung zum Gegengipfel, der u. a. von der Kampagne zur Streichung der Schulden organisiert wurde, stand ein Zitat von Luis de Silva, Vorsitzender der Arbeiterpartei Brasiliens und Präsidentschaftskandidat bei den letzten Wahlen (die er fast gewonnen hätte): „Ich sage Ihnen, der 3. Weltkrieg hat bereits begonnen. Dieser Krieg zerstört fast die gesamte Dritte Welt. Anstelle von Soldaten sterben Kinder, anstelle von Brücken werden Fabriken, Krankenhäuser und ganze Wirtschaften

zerstört. Es ist ein Krieg Um die Auslandsschulden, ein Krieg, dessen Hauptwaffe Zinsen sind.“

Die Schulden der Länder der Dritten Welt betragen das 170fache ihrer jährlichen Exporteinnahmen. Diese Schuld, die sich durch die erheblichen Zinsen ständig potenziert, wird noch erhöht durch fallende Rohstoff-Preise (diese machen 70 Prozent der Exporte der Dritten Welt aus) und den gleichzeitigen Anstieg der Preise für zu importierende Fertigprodukte. So fielen 1980/88 die Erlöse für Rohstoffe um 18 Prozent, während die Preise für Industriewaren aus dem Norden um 25 Prozent stiegen. Um also 1988 die gleiche Menge an Waren kaufen zu können wie 1980 müßte die Dritte Welt fast 50 Prozent mehr exportieren. Das Ergebnis ist bekannt: die Armut nimmt erschreckende Ausmaße an; während jährlich in-Afrika und Latein- _ amerika 500 000 Kinder sterben,' sind diese Länder gezwungen, statt

Nahrung für sich selbst anzubauen, ihre Ernten (oft erzwungene Monokulturen) zu exportieren, weil dies der einzige Weg ist, die Schulden samt der riesigen Zinssätze zurückzuzahlen. 1983/90 zahlten die Länder der Dritten Welt dem Norden 325 Milliarden Dollar mehr zurück als sie bekamen.

Angesichts der katastrophalen Bedingungen in der Dritten Welt, die jegliche eigenständige Entwicklung hemmen und im wachsenden Maße auch die Zerstörung der Umwelt zur Folge haben, wollen die G 7-Länder nun „eine dünne grüne Schicht über ihre destruktive Politik ziehen“, hob Jonathan Porritt, langjähriger Vorsitzender der „Freunde der Erde“ hervor. Wichtig sei aber ein völlig neues Herangehen an die Entwicklungskonzepte. Zunächst muß deutlich gezeigt werden, daß Schulden etwas mit Krieg zu tun haben. Nach einer Schätzung von 1989 entstand ein Drittel der

Schulden der wichtigsten Länder der Dritten Welt durch Waffenimporte. Dieses zynische Geschäft müsse endlich aufhören und durch einen Handel von Gebrauchsgütern ersetzt werden.

Absolut nötig ist ein Programm für die bedingungslose Streichung der Schulden oder zumindest eine Stornierung für 100 Jahre, so wie es Gorbatschow 1988 vorschlug. Der Golfkrieg hat bewiesen, daß eine Streichung möglich ist: Ägypten wurden die Militärschulden erlassen, weil es die Ziele der USA im Krieg unterstützte. Das macht den Charakter der von den USA dominierten Weltbank überdeutlich. Erskine Childers, ehemaliger ökonomischer Berater des UNO-Sicherheitsrates, stellte auf dem Gegengipfel fest, daß der IWF und die Weltbank, beides Einrichtungen der UNO, auf „den alten imperialistischen und kapitalistischen Vorstellungen von der Wichtigkeit von Geldbeständen basieren“ und

Menschenbedürfnisse nicht in Betracht ziehen. Deshalb forderten die Teilnehmer des Gegengipfel, daß Weltbank und IWF umstrukturiert werden müssen, um den Mitgliedern der UNO rechenschaftspflichtig zu werden.

Wahrscheinlich wird das Abschlußkommunique der G 7 ein Lippenbekenntnis zu Schuldenstreichungen enthalten. Aber dem werden gewiß keine entscheidenden Taten folgen, um beispielsweise die verheerenden Umweltzerstörungen in der Dritten Welt zu stoppen. Neben der notwendigen Streichung der Schulden brauchen die Länder der Dritten Welt jedoch die Chance, ökonomische Maßnahmen zu ergreifen, die ihren eigenen Völkern helfen und auch umweltfreundlich sind. Und dafür muß Druck gemacht werden - eine Aufgabe, für die sich die Teilnehmer des „Gipfels von unten“ mit Engagement einsetzen.

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