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  • Politik
  • Gorbatschows Reformplan setzt bei der Umwandlung des Rüstungssektors für zivile Zwecke an

Westliche Unternehmen sind als Investoren eingeladen

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London (Reuter/ADN/AFP/ND). UdSSR-Präsident Gorbatschow will mit einem 40-Milliarden-Dollar-Programm den Rüstungssektor seines Landes für zivile Zwecke reformieren. Dies geht aus dem Reformplan hervor, den die Sowjetunion den Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen zum Londoner Wirtschaftsgipfel vorgelegt hat. Die Rüstungsausgaben sollen um 29 bis 30 Prozent gekürzt werden.

Westliche Unternehmen sind eingeladen, an dem Programm teilzunehmen. Den ausländischen Investoren, die bereit sind, sobald wie möglich nach einer Vertragsunterzeichnung die Sowjetunion mit Verbrauchsgütern zu beliefern, soll eine Vorzugsbehandlung eingeräumt werden. Als Gegenleistung gilt die Zusage, die erbrachten Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt aus der zukünftigen

Produktion der UdSSR zu bezahlen. Zu den potentiellen Sektoren großer Investitionen werden die Luftfahrtindustrie, der Schiffbau, die Halbleiterproduktion, die Stationierung von Satelliten, die Telekommunikation und die Ölförderung gezählt.

„Wir glauben, die Zeit ist reif, resolute Schritte und eine gemeinsame Aktion zu unternehmen, um einen neuen Typ der wirtschaftlichen Interaktion zu entwickeln“, heißt es in dem Brief Gorbatschows an die westlichen Staats- und Regierungschefs. Dabei könnte die sowjetische Wirtschaft mit ihrer riesigen Produktion, den enormen Rohstoffressourcen, dem schrankenlosen Binnenmarkt sowie dem großen Humankapital in das Weltwirtschaftssystem integriert werden. Vorgesehen sei, 80 Prozent der Betriebe in der nächsten Zeit zu privatisieren.

Der sowjetische Staatschef zeichnet ein düsteres Bild von der wirtschaftlichen Situation in der UdSSR. Die volkswirtschaftliche Leistung sei im ersten Halbjahr dieses Jahres um 11 Prozent gesunken. Die Industrieproduktion sei dabei um 5,8 Prozent zurückgegangen. Der Einzelhandel habe Einbu-ßen in Höhe von 12,2 Prozent verzeichnet. „Das Finanz- und Kreditsystem ist in Unordnung, das Haushaltsdefizit wächst, die Exporte und die Devisenerlöse gehen zurück“, heißt es in dem Dokument.

Erwähnt wird auch das zunehmende Problem der Auslandsverschuldung, die mit schätzungsweise 65 Milliarden Dollar beziffert wird. Angesichts der Größe des Landes seien diese Verbindlichkeiten nicht hoch. Äußerst besorgniserregend sei jedoch die Tatsache, daß mittel- und kurzfristige Kredi-

te mit hoher Zinsbelastung fast die Hälfte der Auslandsschuld ausmachten. „Solange wir nicht das Schuldenproblem ansprechen, wird es extrem schwierig für uns sein, das Land aus der wirtschaftlichen Krise zu ziehen“, erklärte Gorbatschow und fügte hinzu: Die UdSSR werde zwar allen Verbindlichkeiten nachkommen, er hoffe aber, daß bei seinen Gesprächen die Siebenergruppe eine „freundliche Haltung“ gegenüber seinen Schulden-Vorschlägen einnähme.

Zu den Bitten der UdSSR soll gehören, einen Stabilisierungsfonds zu Festigung des Rubel-Kurses zu schaffen. Genannt wird die Summe von 10 bis 12 Milliarden Dollar.

Nach Ansicht Gorbatschows müssen zur Sanierung der Wirtschaft vor allem große Anstrengungen im Energiebereich unternommen werden. Hier gelte es, die Ölförderung zu stabilisieren und das

Raffinerie- und Verteilungssystem wiederaufzubauen. Daher schlage er in diesen Bereichen Kooperationen mit dem Westen vor.

Der sowjetische Staatschef nennt noch weitere Reformpunkte: Die Einführung einer Steuer auf Industriegewinne sowie eine Art Umsatzsteuer auf Benzin und Erdgas; eine Beschränkung des gesamten Haushaltsdefizit im Jahre 1992 auf 5 bis 6 Prozent des Bruttosozialprodukts; eine Steuerreform zur Kompetenzklärung zwischen Zentralregierung und den Republiken sowfe die Einführung einer Art Mehrwertsteuer.

Den von Gorbatschow vorgelegten Bericht bezeichnete der sowjetische Radikalökonom Jawlinski als einen „Kompromißplan“. Ähnliche Einschätzungenm waren auch aus dem Kreis der „Großen Sieben“ zu hören.

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