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  • Politik
  • Schengener Abkommen macht UN-Flüchtlingskonvention zur Makulatur

Perfide ^Harmonisierung des Asylrechts '

  • MARIAN KRÜGER
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind nur noch wenige Wochen, bis das 1990 von Frankreich, den Beneluxländern und der BRD im niederländischen Schengen unterzeichnete Abkommen über „den 'schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen“ in Kraft tritt. Ab 1. Juli wird es an den Binnengrenzen der Unterzeichner keine Grenzkontrollen für Personen und Waren mehr geben. Jedoch: An den Außengrenzen des „Schengen-Territoriums“ - im Osten die Oder-Neiße-Linie, im Süden und Westen die Grenzen der inzwischen beigetretenen Staaten Italien, Spanien und Portugal wird auf die volldigitalisierte und polizeimäßige Abwehr von unerwünschten Menschengruppen, z. B. Flüchtlingen, gesetzt.

Nach dem Schengener Abkommen ist die UN-Flüchtlingskonvention praktisch Makulatur: Jeder kann, da ein einheitliches Einreisegebiet vorausgesetzt wird, nur noch in einem der Unterzeichnerländer Asyl beantragen. Das heißt, daß z. B. politisch und anders Verfolgte, die den restriktiven Ausländergesetzen eines der Länder zum Opfer fallen, in den übrigen keine Chance mehr haben. Schengen produziert so die politisch-juristische Handhabe zur europaweiten Aus-

treibung und Deportation hunderttausender, „illegaler“ Immigranten und Flüchtlinge. Eine regelmäßig tagende Konferenz der Schengen-Staaten soll eine koordinierte Politik im Hinblick auf grenzüberschreitende Probleme wie Drogen, Terrorismus und Einwanderung ermöglichen.

Nachdem im Osten die meisten rechtlichen Barrieren für die Ausreise fielen, legt Schengen für ca. 100 Staaten eine Visapflicht fest. Das Schengener Informationssystem (SIS) soll die auf Europa zielenden Flucht- und Migrationsbewegungen polizeilich überwachen.

Die offizielle Sprachregelung lautet „Harmonisierung des Asylrechts“. Dieser Passus des Abkommens ist vor allem auf Initiative der deutschen Seite formuliert worden. Ein alter Bekannter aus der deutschen Asyldebatte hat als Kanzleramtsminister und Innenminister ganze Arbeit geleistet: Wolfgang Schäuble. Die Installierung einer Gemeinsamen Flüchtlingsabwehr an den Außengrenzen begünstigt vor allem das einige Land der Deutschen, da gegenwärtig nur 2 Prozent der Flüchtlinge auf dem Luftweg einreisen. Die jetzige Argumentation von CDU/CSU, auf Grund der Schengen-Regelungen

die Asylgarantie des Grundgesetzes abzuschaffen, ist also Resultat langfristiger Eigeninitiative. Die mit dem noch unter Schäuble entworfenen neuen Asylverfahrgesetz geplanten Sammellager ordnen sich in diese europaweit betriebene, schleichende Militarisierung der Flüchtlingspolitik ein.

Als im Oktober 1991 auf deutsche Initiative die Innenminister von 28 Staaten in Berlin konferierten, akzeptierten auch die Vertreter der „neuen Demokratien“ Osteuropas die Logik von Schengen. Sie erhalten dafür unter anderem Hilfe bei der Ausbildung ihrer Grenzsicherungskräfte. Den osteuropäischen Staaten erscheint die Mitwirkung an der Repression der Migranten und Flüchtlinge offensichtlich als Vorleistung für weitere Finanzhilfen und als Eintrittskarte ins „europäische Haus“.

Diese exekutivstaatliche Strategie gegen Flüchtlinge wird nicht zur Lösung des Flüchtlingsproblems beitragen. Das einzige Resultat besteht in dem jetzt schon immer gewalttätiger um sich greifenden europäischen Rassismus, der nicht zuletzt durch regierungsoffizielle Diskurse Bestätigung und Ermunterung findet.

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