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Dänischer Denkzettel

  • PETER HESS
  • Lesedauer: 3 Min.

Alle Welt orakelt darüber, was eine Mehrheit von Dänen wohl bewogen haben könnte, die EG-Beschlüsse von Maastricht abzulehnen. Aber als Leser von Detektivromanen wissen wir, daß immer zu fragen ist: „Wem nützt es?“ Ich sage in diesem Fall - der Bundesregierung.

Die Dänen hatten sicher eigene, sehr rationale Gründe. Dem dänischen Kapital ist die EG gut bekommen, der Mehrheit der Landeskinder aber weniger. Dafür spricht schon eine früher nicht dagewesene Arbeitslosenrate. Auch die Abgabe von Souveränitätsrechten an die Großen der Gemeinschaft durch die verstärkte Zentralisierung, die Maastricht vorschreibt, behagt vielen nicht, schon gar nicht, wenn die Deutschen in Dänemark mehr zu sagen haben.

Interessant ist, daß Sprecher der Bundesregierung, voran Finanzminister Waigel, vor dem Referendum alles taten, um eine dänische Ablehnung zu provozieren. Erinnert sei nur an die (von Delors sekundierten) Äu-ßerungen, daß die Großen selbstverständlich mehr Einfluß haben müßten als die Kleinen; erinnert sei an das Beharren auf Frankfurt als „natürlichem“ Sitz der künftigen europäischen Zentralbank, an die unentwegte Litanei vom ecu als eigentlicher Euro-Mark, an die plötzliche Gründung eines deutsch-französischen Armeekorps. Bonn weiß doch um die Empfindlichkeiten seiner Partner.

Ein Wirtschaftsbündnis kapitalistischer Staaten kann nur zustande kommen, wenn neben den führenden auch die kleineren Länder davon profitieren -

eine Variante des Prinzips der komparativen Vorteile. Nach 1945 haben die USA das vorpraktiziert. Als großer Gewinner des Krieges haben sie Westeuropa und Japan zum eigenen Vorteil wirtschaftlich gestützt. Diese überragende Stellung hat Bonn in Westeuropa nie genossen. Dennoch waren Wirtschaft und Währung der Bundesrepublik die großen Gewinner der Gemeinschaft und das Land (sprich: sein Staatshaushalt) konnte sich erlauben, zum Ausgleich der „Strukturschäden“ der kleinen Mitgliedsländer die größten Nettozahlungen in den EG-Topf zu leisten.

Das ist nun vorbei. Art und Weise des Anschlusses der DDR haben der Bevölkerung im Osten aus politischen Gründen die Möglichkeit genommen, sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen. Die Wirtschaft im Westen hat profitiert, aber große Transferzahlungen sind unerläßlich, die Staatsschuld hat einen Umfang von 1 400 Mrd. DM erreicht und wächst weiter. In Bonn entstehen erhebliche Zweifel, ob staatliche Zahlungen für die EG in der geforderten Höhe seitens der vergrößerten Bundesrepublik noch möglich sind. Der neue Haushaltsrahmen für die EG-Finanzplanung 1993-97 sieht eine Mehrbelastung für den BRD-Haushalt von 11,5 Mrd. DM vor. Waigel hat bereits abgewunken. Der „Wirtschaft“ würde allerdings ein Abrücken von der Wirtschafts- und Währungsunion nicht gefallen; da tut sich ein neuer Konflikt auf, der die Regierung unter Druck setzt.

Die Dänen haben der deutschen Regierung, und ihr nicht allein, einen (vielleicht nur vermeintlichen) Gefallen getan und Vorwände geliefert. Bonner Minister werfen sich mächtig in die Brust, aber das ist Heuchelei. Der EG-Gipfel Ende Juni in Portugal könnte doch noch spannend werden.

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