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Millionen Menschen trinken zu viel Alkohol

Welche Wege führen aus der Sucht?

  • Lesedauer: 6 Min.

Der krankhafte Griff zur Flasche kann gravierende Konsequenzen haben: Schwere Krankheit, beruflicher Abstieg, familiärer Ruin. 42000 Menschen sterben jährlich an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Auch die finanziellen Auswirkungen dieser weit verbreiteten Sucht sind enorm. Einer neuen Studie der Freien Universität Berlin zu Folge betragen die volkswirtschaftlichen Kosten rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. Über 90 Krankheiten stehen im engen Zusammenhang mit dem Alkoholmissbrauch, den man bei Männern nach wie vor häufiger als bei Frauen findet. Männer sind auch durchschnittlich 14 Tage länger als Frauen in der Entwöhnungsbehandlung. Vor allem Menschen in mittleren Lebensjahren konsumieren Alkohol in gefährlichen Mengen, fanden die Sozialwissenschaftler heraus. Sie weisen darauf hin, dass aber schon für die jüngere Bevölkerung mit gewaltigen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen gerechnet werden muss. Aus ihrer Sicht müsste zunächst im Sinne der Primärprävention der Alkoholkonsum eingeschränkt werden. Dazu können unter anderem strukturelle Maßnahmen wie Abgabenerhöhungen oder Durchsetzung von gesetzlichen Einschränkungen beitragen. Mehr Mitverantwortung beim Bedienungs- und Verkaufspersonal ist nach ihrer Meinung ebenfalls nötig. Das alles kann aber nur im Einklang mit der öffentlichen Meinung umgesetzt werden, betonen die Forscher. Darüber hinaus sollten die Früherkennung verbessert, Ärzte im ambulanten Bereich stärker für Alkoholprobleme sensibilisiert und Therapiekonzepte evaluiert werden. GESUND LEBEN stellt zwei Konzepte für die Behandlung alkoholsüchtiger Patienten vor.

Kontrollierter Konsum

Von Britta Warda

Knapp acht Millionen Deutsche überschreiten regelmäßig die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als gesundheitlich unbedenklich eingestufte Menge an Alkohol: Bei Männern sind es 30 Gramm reinen Alkohols pro Tag, bei Frauen 20 Gramm. Die Grenzen zwischen riskantem Konsum und Abhängigkeit sind fließend. 1,5 bis 2 Millionen Deutsche gelten als alkoholkrank, aber nur ein Bruchteil ist in Behandlung. »Das Hilfesystem ist oftmals nur auf Abstinenz ausgerichtet«, erklärt Professor Udo Schneider von der Medizinischen Hochschule Hannover, »den Patienten wird wenig Entscheidungsspielraum gelassen.«
Viele Menschen wissen, dass ihr Alkoholkonsum bedenklich ist. Sie schaffen es nicht, aus eigener Kraft die Menge zu reduzieren. Der Gedanke, nie wieder ein Glas Wein trinken zu dürfen, hält jedoch davon ab, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Seit einiger Zeit gibt es für diese Klientel einen neuen Ansatz in der Suchttherapie, das »Kontrollierte Trinken«. In Kanada, Australien und Großbritannien sind Beratungsansätze zur Reduzierung des Alkoholkonsums seit langem etabliert. In Deutschland gibt es das »Zehn- Schritte-Programm zum selbstständigen Erlernen des kontrollierten Trinkens« seit 2001. Entwickelt wurde die Methode von Professor Joachim Körkel vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Theoretische Grundlage ist der so genannte Selbstkontrollansatz in der Verhaltenstherapie. Das Programm wird als Gruppen- und Selbstlernprogramm angeboten. Geeignete Kandidaten sind Menschen mit gefährlichem Alkoholkonsum, die eigenverantwortlich die getrunkene Menge reduzieren wollen. Nicht geeignet sind bereits abstinent lebende Alkoholiker, Schwangere oder Patienten, die bereits organische Schäden davon getragen haben. Vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen, wird die Therapie als Prävention anerkannt. Versicherte können Zuschüsse zu den Gebühren der Kurse beantragen. Die Methode stößt jedoch andernorts auf heftige Kritik. Die Gegner finden sich überwiegend in den zahlreichen Selbsthilfegruppen. Sie werfen den Ärzten und Fachleuten, die sich für den neuen Ansatz aussprechen, unverantwortliches Handeln vor. In ihren Augen ist es gefährlich, die These zu verbreiten, Alkoholiker könnten ihren Konsum selbst kontrollieren. Es würden falsche Hoffnungen geweckt, heißt es auf der Homepage der Alkohol-Hilfe, die zu einer Kampagne gegen das kontrollierte Trinken aufruft. Auch die »Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren (DHS)« postuliert nach jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Alkoholkranken die Abstinenz als Idealziel. Von Süchtigen könne man keine Kontrolle erwarten, so der Autor der Webseite.
»Für den Umgang mit Alkoholismus gibt es keinen Königsweg«, meint dagegen Knut Lindner, der seit geraumer Zeit Kontrolliertes Trinken praktiziert und damit bestens klar kommt. »Alkoholiker sind ganz unterschiedliche Menschen, die sich nicht in ein Korsett pressen lassen. Für Trinker, die auf Dauer nicht mit Abstinenz klar kommen, müssen Alternativen angeboten werden«, so die Meinung des Diplomsportlehrers. Erste Studien haben ergeben, dass etwa 50Prozent der Teilnehmer den Konsum um die Hälfte reduzierten. 15Prozent leben abstinent, der Rest trinkt so viel wie vorher. Ob die Methode langfristig zum Erfolg führt, kann noch nicht beantwortet werden. Dafür sind Langzeitstudien erforderlich.

www.kontrolliertes-trinken.de,
www.alkohol-hilfe.de,
www.hu-berlin.de,
www.dhs.de

Hausarzt als Partner

Von Elfi Schramm

Neben den etwa zwei Millionen alkoholabhängigen Bundesbürgern betreiben weitere 2,4 Millionen Menschen einen schädlichen Alkoholmissbrauch und 6,4 Millionen haben einen bedenklich hohen Konsum - behandelt wird aber lediglich ein großer Teil der abhängigen Patienten. Die Chance, diese Situation zu ändern, ist sehr schwierig, denn die Betroffenen schämen sich häufig. Glück haben diejenigen, die einen wachen und engagierten Hausarzt haben. Dieser ist nicht nur an erster Stelle in der Lage, die Krankheit zu erkennen, sondern er kann seinem alkoholkranken Patienten auch effektiv helfen. Darin sind sich Fachleute einig.
»Der aufmerksame Arzt kann mit wenigen Fragen gefährdete Patienten frühzeitig erkennen und sie gezielt auf ihr Problem ansprechen. Das offene Gespräch zwischen ihm und seinem Patienten kann bereits ausschlaggebend für die Bereitschaft des Kranken zum Entzug sein«, so Dr. Lutz Weinrich, Arzt und Diplompsychologe aus Berlin. Besteht ein Verdacht auf Alkoholabhängigkeit, so lassen sich nach seinen Erfahrungen mit wenigen Fragen die meisten Alkoholprobleme aufspüren. Typische Anzeichen für eine Abhängigkeit seien »Dosissteigerung, Kontrollverlust, Bevorratung und heimliches Trinken«. Zusätzliche Beweise liefert das Labor.
Prof. Dr. Karl Mann, Sprecher der Suchtforschungsverbünde und Lehrstuhlinhaber für Suchtforschung, rät dem Hausarzt, immer die Frage der Abstinenz anzusprechen, auf Therapieangebote zu verweisen und eine Entgiftung vorzuschlagen, wenn sich der Verdacht auf ein Alkoholproblem erhärtet. Große Chancen für den Entzug sieht er, wenn der Arzt den Patienten täglich zur Medikamentenausgabe in seine Praxis bestellt. Bereits nach einer Woche sind die körperlichen Folgen des Entzugs in der Regel überwunden. Allerdings, so Mann, bleiben ohne weitere Behandlung nur fünf Prozent der Alkoholkranken trocken. Deshalb müsse sich dem Entzug die Entwöhnung anschließen. Auch diese könne der Hausarzt therapeutisch betreuen.
Unterstützt wird diese Phase mit dem Medikament Campral, das den Wirkstoff Acamprosat enthält. Grundlagenforscher Prof. Dr. Rainer Spanagel erklärt, dass diese Substanz keine Ersatzdroge ist, sondern im Gehirn ansetzt, wo das Verlangen entsteht. »Dort dämpft es das aus dem Gleichgewicht geratene Nervensystem und verringert beim Abhängigen den quälenden Zwang zu trinken. Er erleidet während seiner Therapie seltener und weniger schwere Rückfälle als ohne das Medikament.«
Laut Spanagel wird die medikamentöse Behandlung von den Krankenkassen finanziert. Das Medikament sollte möglichst ein Jahr lang gegeben werden. Wie die Experten errechneten, ist das immer noch billiger als ein stationärer Entzug von sieben Tagen. In das therapeutische Gesamtkonzept der ambulanten Entwöhnung gehört aber auch das tägliche begleitende Gespräch, mit dem der Arzt die Motivation des Patienten stärkt.

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