»Esmeralda« - die weiße Dame mit der schmutzigen Weste

Amnesty International ruft zum Protest gegen chilenischen Flottenbesuch

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Voraussichtlich am heutigen Dienstag soll das Segelschulschiff der chilenischen Marine in Bremerhaven und später in Lübeck festmachen. Menschenrechtsorganisationen rufen zum Protest, denn die »Esmeralda« hat eine schreckliche Vergangenheit.
La Dama blanca - die weiße Dame wird das Schiff ob seiner Eleganz genannt. Der 1952 in den USA gebaute Viermaster ist das zweitgrößte Segelschulschiff der Welt und für maritime Kenner eine Augenweide. Als »Botschafterin aller Chilenen« hat das Schiff im April den Heimathafen von Valparaiso verlassen, es war in Peru, Ekuador, Panama, lief den französischen Hafen von Rouen an und sollte anschließend in Holland und Schweden festmachen. Doch auf die beiden letzten Stationen verzichte die chilenische Marine nachdem bekannt wurde, dass die »Esmeralda« dort nicht willkommen ist. Der Grund sind heftige Proteste von Chile-Solidaritätsgruppen und Amnesty International, denn die »weiße Dame« hat eine schmutzige Weste. Vor knapp 30 Jahren, am 11. September 1973, wurde die Regierung des Sozialisten Salvador Allende durch einen blutigen Militärputsch gestürzt. Nach offiziellen Angaben sind in der Zeit von September 1973 bis März 1990 3200 politisch missliebige Männer und Frauen von den Putschistenschergen ermordet worden. Fast ebenso viele »verschwanden« ganz einfach. Die »Esmeralda« lag im Hafen von Valparaiso und wurde - wie die Frachter »Maipo« und »Lebu« - zum Gefängnis und Folterzentrum umfunktioniert. Obwohl Zeugenaussagen wie die Untersuchungen der Nationalen Wahrheitskommission Chiles die Rolle des Schiffes belegen, bestreitet die Marine die Tatsachen. Chilenische Menschenrechtler weisen nach, dass von 112 namentlich bekannten Gefangenen der »Esmeralda« niemand überlebt hat. »Bislang gibt es keine offizielle Entschuldigung und keine Entschädigung für die überlebenden Opfer. Die Mehrzahl der Folterer der Militärdiktatur wurde bisher nicht belangt«, betont Ute Paul, Chile-Expertin von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation fordert die Repräsentanten Bremerhavens und Lübeck auf, das Schulschiff nicht zu besuchen. Ute Paul kündigte Proteste ihrer Organisation an. So wollen ai-Mitglieder die »Esmeralda« bereits in Travemünde mit einem eigenem Schiff »empfangen« und bis Lübeck begleiten. Ähnliches ist die Besatzung der »Esmeralda« gewohnt. 1974 protestierten Gewerkschafter in San Francisco, in Baltimore kam es zwei Jahre später zu Protesten, 1977 empfingen türkische Studenten den Folterkahn, 1986 empörte sich sogar der US-Senat gegen die Teilnahme des Schiffes an den Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum der Freiheitsstatue. Proteste gab es in Melbourne, Baltimore, Rio de Janeiro und Montevideo. Nun wird das Schiff voraussichtlich zwischen dem 17. und 22. Juni in Bremerhaven und ab 27. Juni in Lübeck festmachen.

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