Wenige Zeugen, viel Geheimdienst

Das Verfahren gegen den vermeintlichen Top-Terroristen Weinrich brachte bislang kaum Erkenntnisse

Das hatte sich Richter Ralph Ehestädt anders vorgestellt: Knapp die Hälfte aller Verhandlungstage im Berliner Weinrich-Prozess sind bis dato mangels Zeugen ausgefallen. Ernsthaft Belastendes musste sich der Angeklagte in den vergangenen 19 Verhandlungstagen nicht anhören, dafür aber diverse Merkwürdigkeiten aus der Welt der Geheimdienste.

Der 55-jährige Johannes Weinrich ist in Berlin angeklagt, als Mitglied der »Organisation Internationaler Revolutionäre«, besser bekannt als Carlos-Gruppe, zwischen 1975 und 1983 an sechs Bombenanschlägen in Frankreich, Deutschland und Griechenland maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Bereits im Jahre 2000 wurde er wegen der Beteiligung am Anschlag auf das Maison de France mit einem juristisch eigentlich nicht haltbaren Urteil zu lebenslanger Haft verurteilt.
Trotz einer massiven Vorverurteilung Weinrichs im deutschen Blätterwald ist der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer bisher sichtlich bemüht, das Verfahren juristisch korrekt zu verhandeln. Stolpersteine sind jedoch immer wieder die Unmöglichkeit, nach so langer Zeit Zeugen zu laden, sowie eine nachlässige Vorbereitung des Prozesses durch Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis: Fehlende Aktenteile, fehlende oder fehlerhafte Übersetzungen und insgesamt wenig Ordnung in den Ermittlungsakten monierte nicht nur die Verteidigung.

Kronzeugin schied aus
Gleich zu Beginn des Prozesses gab es eine Überraschung, als die langjährige Gefährtin und Mitkämpferin Weinrichs, Magdalena Kopp, durch einen Fehler der Staatsanwaltschaft als Kronzeugin aus dem Verfahren ausschied. Einstige Mitarbeiter des MfS verweigerten in Folge entweder die Aussage, blieben sehr vage oder konnten sich nicht recht erinnern. Charakteristisch hierfür war die Äußerung eines Oberst, das von ihm Bezeugte könne auch »in der Zeitung gestanden haben«. Das MfS hatte Anfang der 80er Jahre Mitglieder der Carlos-Gruppe »betreut«, wenn diese sich in Ost-Berlin aufhielten. Angehörige des ehemaligen ungarischen Staatssicherheitsdienstes haben es bis dato gänzlich abgelehnt, zum Prozess zu erscheinen. Auch in Ungarn hatten Gruppenmitglieder in den 80er Jahren zeitweise ihren Sitz.
In ihrer Not hatte die Schwurgerichtskammer bereits angekündigt, Protokolle von Vernehmungen vorzutragen, nicht jedoch ohne diese vorher auf ihr Zustandekommen zu überprüfen. Wie notwendig eine genaue Prüfung der Unterlagen in diesem Verfahren ist, zeigte der 14. Verhandlungstag. Da tauchte ein als ganz normaler französischer Polizeibeamter vorgestellter Zeuge auf, der über die Vernehmung von Ali al Issawi (Deckname Abul Hakam, angebliches Führungsmitglied der Carlos-Gruppe) durch den jordanischen Geheimdienst GID in Amman berichten sollte. Im Laufe des Verhandlungstages stellte sich heraus, dass dieser Zeuge mitnichten ein normaler Polizeibeamter, sondern vielmehr Mitarbeiter des französischen Inlands-Geheimdienstes DST ist und er Issawi in Amman weder sehen noch sprechen durfte. Die Fragen des Franzosen wurden von einem jordanischen Dolmetscher ins Arabische übersetzt, dem »Phantomzeugen« (Verteidiger Elfferding) von einem Boten vorgelegt, dann in Form eines Berichtes statt eines Protokolls ins Französische zurückübersetzt. Teile der deutschen Übersetzung dieser Stille-Post-Geheimdienst-Posse dienen nun der Staatsanwaltschaft als »Beweismittel«. Es ist schwer vorstellbar, dass Richter Ehestädt die angeblichen Aussagen dieses »Kronzeugen« nach abschließender Prüfung zulassen wird.

Nur ein belastendes Indiz
Das bisher einzige belastende Indiz ist ein Schreiben des seinerzeitigen kubanischen Botschaftssekretärs in Ost-Berlin, der ebenfalls Geheimdienstler war, an das MfS. Darin berichtet er von einer Selbstbezichtigung Weinrichs ihm gegenüber für den Bombenanschlag 1983 auf den Hauptbahnhof von Marseille.
Fragen grundsätzlicher Natur werden von Prozessbeteiligten außerhalb des Gerichtssaales gestellt: Warum dieses auf Jahre angesetzte Mammutverfahren gegen einen Angeklagten, der bereits zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt ist? Und warum eröffnet die deutsche Justiz ein Verfahren, während in Frankreich zu den gleichen Tatkomplexen vor Ort immer noch Ermittlungen laufen und bi...

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