Bürgerkonvent spannt Bürger vor seinen Karren

Kampagne gegen etablierte Parteien soll auf neoliberalen Trab bringen

Parteien können es nicht. Verkrustungen, Probleme ohne Lösungen. Politische Alternativen haben Konjunktur, sollte man meinen. In Wahrheit sind es politische Scharlatane, die den Ruhm einheimsen, ohne Besserung zu versprechen. Jedenfalls nicht für den Normalbürger, dessen Aufstand sie doch organisieren wollen.

Im elften Stock des Bonn-Centers gegenüber dem einstigen Bundeskanzleramt residiert der »Bürgerkonvent« - in einem Dreizimmerbüro mit zwei Mitarbeitern und drei Hilfskräften. Hier wird seit Anfang Mai der »Aufstand von oben« geplant, schon die ersten Schritte in die Öffentlichkeit kosteten schlappe sechs Millionen Euro. Der Bürgerkonvent will den »Reformstau auflösen«, eine »Trendwende herbeiführen«. Und all dies auf einer Woge des Bürgerprotests gegen die (Ohn)Macht der etablierten Parteien. Von wem die Initiative ausging, ist bis heute nicht klar. Öffentlich in Erscheinung traten bisher Meinhard Miegel, Direktor des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, und Gerd Langguth, ehemals Vorsitzender des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten, heute Professor für politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Langguth, der Miegel als »Spiritus rector« bezeichnet, fungiert als Geschäftsführer. Miegel wie Langguth sind intime Kenner der CDU und Anhänger eines rigiden neoliberalen Umbaus. Am 8. Mai gegründet, hat es die Initiative in wenigen Wochen zu beachtlicher medialer Aufmerksamkeit gebracht - erstaunlich angesichts rund 25 weiterer ähnlicher Initiativen. Nicht zu erkennen ist, woher die erhebliche Finanzkraft kommt. »Von Bürgern, richtigen Bürgern«, brüstet sich Miegel. Wenige Namen solcher »Normalbürger« sind bisher gefallen: Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der Unternehmensberater Roland Berger, Otto Graf Lambsdorff, Peter Glotz, Rupert Scholz, Eberhard von Kuenheim, einstiger Aufsichtsratschef von BMW. Von Beginn an begleitete die »Revolution von oben« der Ruf, sich des Bürgers lediglich zu bedienen, auf dessen Schultern man sich in die Schlacht tragen lässt. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung beauftragte die Wissenschaft mit einer Untersuchung. Am Dienstag stellten die Politikwissenschaftler Rudolf Speth, Autor der Studie, sowie Joachim Raschke in Berlin die Ergebnisse ihrer Beobachtungen zum »Bürgerkonvent« mit. Nicht zuletzt die allgegenwärtige Politikverdrossenheit werde von der Kampagne bewusst angesprochen. Adressat der aggressiv vorgetragenen Kritik ist die »reformunwillige Politik«, womit in erster Linie die Bundesregierung gemeint ist. An anderer Stelle gilt der Angriff den Gewerkschaften. »Ihnen wird eine Sündenbock-Rolle an der wirtschaftlichen Misere zugeschrieben«, so schlussfolgert Speth. Fast drei Millionen Besucher haben angeblich bereits auf die Homepage geklickt, 8000 E-Mails und 1500 Briefe sollen eingegangen sein. Wenn man den Initiatoren glaubt, hat der Bekanntheitsgrad inzwischen 24 Prozent der Bevölkerung erreicht. »Bei uns kann niemand aktives Mitglied sein, der ein politisches Mandat hat«, so Langguth in einem Interview. Während CDU-Chefin Angela Merkel den Bürgerkonvent inzwischen gelobt hat, warf Ex-Sozialminister Norbert Blüm (CDU) den Initiatoren vor, Parteienschelte »vom hohen Ross herunter« zu betreiben Getroffene Hunde bellen... Speth kommt zum Ergebnis, dass Zielgruppe vor allem das bürgerliche Lager sei. Union und FDP unter Druck zu setzen, diese beim Sozialabbau quasi zum Jagen tragen, das ist seiner Überzeugung nach der tiefere Sinn der Initiative. Oder, wie Speth formuliert, »das Politikmodell der Parteien zu brechen, um Raum für nicht-legitimierte Interessen zu schaffen«. Dabei stachele der Bürgerkonvent den Protest nur an, er biete aber keine Handlungsmöglichkeiten oder Organisationformen. Joachim Raschke sieht darin zugleich sein größtes Problem. »Geld mag diese Widersprüche eine Zeit lang kaschieren, beheben lassen sie sich damit nicht.« Der Konvent habe der außerparlamentarischen Bewegung Symbole »entwendet« und nutze diese im Stile einer Aufklärung, die anti-aufklärerisch wirke. Denn die Urheber blieben im Dunkeln, der Bürger werde über den Charakter der Bewegung getäuscht. Der Konvent baue Feindbilder auf und ideologisiere, statt konstruktiv zu werden. Raschke spricht von einer »antiparteilichen Ersatzpart...

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