Unerwünschte Kinder haben ein schweres Los

Forscher vermuten, dass Ungeborene die Ablehnung der Mutter spüren

  • Marion Sonnenmoser
  • Lesedauer: 4 Min.
Für die meisten Menschen gehören Kinder zu einem erfüllten Leben. Es gibt jedoch auch viele, die sich keine Kinder wünschen. In Deutschland wächst ihre Zahl von Jahr zu Jahr. Immer mehr minderjährige Frauen treiben ab. Mittlerweile wird jede zweite Schwangerschaft in dieser Altersgruppe unterbrochen. Jede dritte Frau um die dreißig plant heute bewusst ein Leben, in dem Kinder keinen Platz haben. Ein Großteil der Kinder, bei denen bereits im Mutterleib Erbschäden festgestellt wurden, wird abgetrieben. Und seit Jahren werden in Deutschland immer weniger Kinder geboren. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. So scheint die Bereitschaft, jahrelang zu Gunsten von Kindern den Beruf aufzugeben, persönliche Wünsche zurückzustecken und finanzielle Einbußen hinzunehmen, in der jüngeren Generation zu sinken. Zudem fühlen sich viele Männer und Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter durch ein behindertes Kind offenbar überfordert. Dazu kommen noch viele individuelle Gründe. Vorgeburtliche Diagnostik, zuverlässige Verhütungsmittel, der nachlassende Einfluss der »Moralinstanz Kirche« und der verbreitete Trend zu Selbstverwirklichung und Individualisierung fördern diese Entwicklung. Dennoch passiert es immer wieder: Männer und Frauen werden ungewollt Eltern. Forscher schätzen, dass fast die Hälfte aller Schwangerschaften ungeplant ist. Das ist an sich noch nicht problematisch, denn aus einem ungeplanten Kind wird häufig ein Wunschkind. Schwierig wird es erst, wenn die werdenden Eltern das Kind nicht annehmen oder wenn aus dem geplanten Wunschkind ein ungewolltes Kind wird. Dann nämlich stehen die Chancen für das Kind schlecht. Die ersten Widrigkeiten im Leben des gerade erst gezeugten Nicht-Wunsch-Kindes treten schon im Mutterleib auf. »Das Immunsystem der ungewollten Mutter reagiert mit Stress und sorgt möglicherweise dafür, dass sich die Keimzelle nicht in die Gebärmutter einnisten kann«, vermutet die Heidelberger Pädagogin Helga Levend. Schafft es der Embryo dennoch, sich zu entwickeln, so ist er stark gefährdet, als Fehlgeburt zu enden oder zu früh geboren zu werden. Welche körperlichen Vorgänge dabei eine Rolle spielen, wird noch erforscht. Doch auch das Leben im Bauch der Mutter ist kein Vergnügen. Mittlerweile weiß man, dass der Bauch einer Schwangeren kein abgeschotteter Raum ist, sondern dass das werdende Kind im Mutterleib bereits viel mitbekommt. Es hört die Stimmen seiner Eltern, es spürt Erschütterungen und es fühlt, wenn es der Mutter nicht gut geht. Ungewollte Kinder, so wird vermutet, spüren die Ablehnung ihrer Mutter. Deshalb kann sich zwischen dem Ungeborenen und seiner Mutter kein emotionales Band entwickeln. Unfreiwillige Mütter ergreifen zudem häufig Maßnahmen, um eine Fehlgeburt zu verursachen. Sie rauchen, trinken übermäßig, ernähren sich schlecht, schlucken Medikamente und Gifte oder unternehmen Abtreibungsversuche. Alle diese schädigenden und feindlichen Einflüsse gehen am Ungeborenen nicht schadlos vorüber. Levend sagt: »Viele unerwünschte Kinder kommen untergewichtig zur Welt und kränkeln im Säuglingsalter.« Außerdem lehnen diese Kinder häufig die Brust der Mutter ab und erbrechen die Milch. Im Krabbelalter gehen sie kaum auf die Mutter ein. Die Mütter wiederum vermitteln den Kindern kaum Liebe und Wärme, sondern vernachlässigen sie emotional und gesundheitlich. In Nationen wie Indien oder Ägypten führt dies zu einer erhöhten Kindersterblichkeit bei Mädchen, da diese als unerwünscht gelten. Aber auch mitten unter uns haben unerwünschte Kinder ein hartes Los. Oft lassen sie Gefühle des Verlassenseins, des Abgelehntwerdens und der Hoffnungslosigkeit ihr Leben lang nicht los. Zudem erhalten sie meist nicht die nötige Aufmerksamkeit, Ausstattung, Unterstützung und Bildungschancen. Stattdessen werden sie häufig Opfer von körperlichen Misshandlungen und seelischer Grausamkeit. Auch ein früher Tod ist nicht ungewöhnlich. »Unerwünschte Kinder haben ein erhöhtes Risiko, durch eigene Hand zu sterben oder von den Eltern getötet zu werden«, erklären die Bremer Sexualpädagogen Gerhard Amendt und Michael Schwarz. Angesichts dieses leidvollen Schicksals, das unerwünschte Kinder erwartet, stellt sich die Frage, ob eine geplante Kinderlosigkeit nicht verantwortungsvoller ist als ungewollte Elternschaft. Um hier etwas zu verändern, muss sich jeder Einzelne ehrlich mit seinem Kinderwunsch auseinander setzen. Zudem wäre es an der Zeit, dass unsere Gesellschaft sich dem Thema offen stellt. Die Ablehnung von Kindern darf nicht länger tabuisiert werden, auch wenn das Thema schmerzlich ist. Zudem dürfen Männer und Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, nicht mit Vorwürfen überhäuft, unter Druck gesetzt oder ausgegrenzt werden. Der Umgang mit dieser Problematik ist sicher nicht einfach, doch er ist nötig, um Kindern das Elend, nicht gewollt zu sein, zu ersparen.

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