Er hat den Hut auf

Mit Fred Gehler, Publizist, Essayist, Filmemacher und Direktor der Internationalen Dokumentarfilmwoche Leipzig, sprach Margit Voss.

ND: Die Spatzen pfiffen es von den Dächern, bevor das Festival begann. Nach Ihrem Wunsch sollte die 46. Leipziger Dokfilmwoche die letzte Ihrer Amtszeit als Festivaldirektor sein. Nun ist die Nachfolge umstritten. Warum?
Gehler: Gleich nach dem vorjährigen Festival bat ich den hiesigen Kulturdezernenten, über zwei Namen nachzudenken, deren Träger ich für eine Nachfolge favorisierte. Die aber wollte Herr Girardet nicht akzeptieren. Stattdessen schlug er vor, zunächst eine Findungskommission einzusetzen, die nach einer öffentlichen Ausschreibung die Auswahl treffen sollte. In diese Findungskommission wurde auch der jetzige Festivaldirektor von Nyon, Jean Perret gebeten, der das Leipziger Festival von früheren Besuchen kennt. Plötzlich gab es eine merkwürdige Wende. Perret bekannte, nicht so sehr in der Findungskommission arbeiten, sondern sich selbst um das Amt bewerben zu wollen.
Die Ausschreibung schließlich kam in Form von redaktionellen Notizen in einschlägigen Journalen wie »EPD Film«, »Black Box« und »Film dienst« zustande, worauf etwa zwanzig Bewerbungen eintrafen. Am Ende der Ausschreibung gab es sechs oder sieben Kandidaten, die Anfang Mai von der Kommission gehört wurden. Dabei spielte eine Rolle, ob man selbst bereits über Konzepte für das Festival nachgedacht hatte, bis hin zu der Frage, ob man bereit sei, den Wohnort zu wechseln. Obwohl die Bereitschaft aller Kandidaten vorlag, favorisierte der Kulturdezernent allein Jean Perret und begann, mit ihm allein zu verhandeln. Für mich war wichtig, herauszufinden, ob Perret das Schweizer Festival in Nyon aufgeben würde, wobei mir schwante, dass er sich die Ausrichtung des zehnten nicht nehmen lassen würde. Aber der Kandidat wollte sich nicht festlegen, so dass man annehmen musste, dass das Zögern auf ein Nein zusteuern könnte, zumal eine viel zu lange Bedenkzeit bis August zugestanden worden war. Dann ging es Schlag auf Schlag. Die Lebensgefährtin Perrets lehnte ab, das Management in Leipzig zu übernehmen, Perret seinerseits aber schlug vor, beide Festivals, das am Genfer See und das in Sachsen, in eigener Regie zu führen, was das Kulturdezernat wohl für möglich hielt. Ich hatte aber einiges dagegen vorzubringen.
Als es im September ein Treffen mit allen Beteiligten gab und wieder nichts entschieden wurde, schien mir der Zeitpunkt gekommen, die Reißleine zu ziehen und zu sagen: Hier gilt mein Wort, dass ich die Stadt und das Festival nicht hängen lassen werde, sondern über meinen Vertrag hinaus ein Jahr weitermache.

Wen würden Sie denn als Nachfolger akzeptieren?
Es musste niemand sein, der bereits einen Namen hat. Ich habe immer gesagt, jemand kann sich mit diesem Festival auch einen Namen schaffen. Wer hat mich denn 1994 außerhalb der deutschen Landesgrenzen gekannt? Außerhalb der Branche sind Namen ohnehin Schall und Rauch. Es sollte vielmehr auf andere Dinge geschaut werden. Beispielsweise: Wer ist bereit, die Strukturen eines Festivals kennen zu lernen, wer hat Ahnung von Finanzierung, dem Sponsoring und speziell dem deutschen Kulturgeflecht.

Ihnen selbst aber waren diese Felder bei Ihrem Antritt auch nicht sehr geläufig.
Nein. Ich habe lange Jahre meines Lebens damit verbracht, Filmprogramme für andere zu konzipieren, zu erarbeiten und auch praktisch durchzuführen. Ich hatte die Erfahrung mit dem Leipziger Filmkunsthaus Casino und mit der Berliner Camera. Es war für mich immer eine Sache der Leidenschaft, andere teilhaben zu lassen an filmischen Entdeckungen. Eigentlich bin ich über diese Brücke gegangen, als ich das Angebot für die Leitung der Dokwoche erhielt. Aber es kam eine solche Fülle organisatorischer Verantwortung für das gesamte Wohl und Wehe des Festivals dazu, dass ich habe lernen müssen, auf dem Schlachtfeld immer anwesend zu sein. Da gibt es keine Statthalterfunktion. Tauchen Schwierigkeiten auf mit einem Projektantrag, dann muss der Festivalchef ans Telefon und die Dinge klären. Das betrifft alle Fragen, beispielsweise die Retrospektive, einzelne Programmteile oder Reihen. Für jeden Film, der hier gezeigt wird, muss man sich den Hut aufsetzen. Es geht nicht an, dass eine Auswahlkommission Vorschläge unterbreitet und man nur in der Endphase mitentscheidet. Ich versuche, die wenigen Tage, die ein Festival im Jahr hat, zu einem Fest für den Dokumentar- und Animationsfilm zu machen.ND: Die Spatzen pfiffen es von den Dächern, bevor das Festival begann. Nach Ihrem Wunsch sollte die 46. Leipziger Dokfilmwoche die letzte Ihrer Amtszeit als Festivaldirektor sein. Nun ist die Nachfolge umstritten. Warum?
Gehler: Gleich nach dem vorjährigen Festival bat ich den hiesigen Kulturdezernenten, über zwei Namen nachzudenken, deren Träger ich für eine Nachfolge favorisierte. Die aber wollte Herr Girardet nicht akzeptieren. Stattdessen schlug er vor, zunächst eine Findungskommission einzusetzen, die nach einer öffentlichen Ausschreibung die Auswahl treffen sollte. In diese Findungskommission wurde auch der jetzige Festivaldirektor von Nyon, Jean Perret gebeten, der das Leipziger Festival von früheren Besuchen kennt. Plötzlich gab es eine merkwürdige Wende. Perret bekannte, nicht so sehr in der Findungskommission arbeiten, sondern sich selbst um das Amt bewerben zu wollen.
Die Ausschreibung schließlich kam in Form von redaktionellen Notizen in einschlägigen Journalen wie »EPD Film«, »Black Box« und »Film dienst« zustande, worauf etwa zwanzig Bewerbungen eintrafen. Am Ende der Ausschreibung gab es sechs oder sieben Kandidaten, die Anfang Mai von der Kommission gehört wurden. Dabei spielte eine Rolle, ob man selbst bereits über Konzepte für das Festival nachgedacht hatte, bis hin zu der Frage, ob man bereit sei, den Wohnort zu wechseln. Obwohl die Bereitschaft aller Kandidaten vorlag, favorisierte der Kulturdezernent allein Jean Perret und begann, mit ihm allein zu verhandeln. Für mich war wichtig, herauszufinden, ob Perret das Schweizer Festival in Nyon aufgeben würde, wobei mir schwante, dass er sich die Ausrichtung des zehnten nicht nehmen lassen würde. Aber der Kandidat wollte sich nicht festlegen, so dass man annehmen musste, dass das Zögern auf ein Nein zusteuern könnte, zumal eine viel zu lange Bedenkzeit bis August zugestanden worden war. Dann ging es Schlag auf Schlag. Die Lebensgefährtin Perrets lehnte ab, das Management in Leipzig zu übernehmen, Perret seinerseits aber schlug vor, beide Festivals, das am Genfer See und das in Sachsen, in eigener Regie zu führen, was das Kulturdezernat wohl für möglich hielt. Ich hatte aber einiges dagegen vorzubringen.
Als es im September ein Treffen mit allen Beteiligten gab und wieder nichts entschieden wurde, schien mir der Zeitpunkt gekommen, die Reißleine zu ziehen und zu sagen: Hier gilt mein Wort, dass ich die Stadt und das Festival nicht hängen lassen werde, sondern über meinen Vertrag hinaus ein Jahr weitermache.

Wen würden Sie denn als Nachfolger akzeptieren?
Es musste niemand sein, der bereits einen Namen hat. Ich habe immer gesagt, jemand kann sich mit diesem Festival auch einen Namen schaffen. Wer hat mich denn 1994 außerhalb der deutschen Landesgrenzen gekannt? Außerhalb der Branche sind Namen ohnehin Schall und Rauch. Es sollte vielmehr auf andere Dinge geschaut werden. Beispielsweise: Wer ist bereit, die Strukturen eines Festivals kennen zu lernen, wer hat Ahnung von Finanzierung, dem Sponsoring und speziell dem deutschen Kulturgeflecht.

Ihnen selbst aber waren diese Felder bei Ihrem Antritt auch nicht sehr geläufig.
Nein. Ich habe lange Jahre meines Lebens damit verbracht, Filmprogramme für andere zu konzipieren, zu erarbeiten und auch praktisch durchzuführen. Ich hatte die Erfahrung mit dem Leipziger Filmkunsthaus Casino und mit der Berliner Camera. Es war für mich immer eine Sache der Leidenschaft, andere teilhaben zu lassen an filmischen Entdeckungen. Eigentlich bin ich über diese Brücke gegangen, als ich das Angebot für die Leitung der Dokwoche erhielt. Aber es kam eine solche Fülle organisatorischer Verantwortung für das gesamte Wohl und Wehe des Festivals dazu, dass ich habe lernen müssen, auf dem Schlachtfeld immer anwesend zu sein. Da gibt es keine Statthalterfunktion. Tauchen Schwierigkeiten auf mit einem Projektantrag, dann muss der Festivalchef ans Telefon und die Dinge klären. Das betrifft alle Fragen, beispielsweise die Retrospektive, einzelne Programmteile oder Reihen. Für jeden Film, der hier gezeigt wird, muss man sich den Hut aufsetzen. Es geht nicht an, dass eine Auswahlkommission Vorschläge unterbreitet und man nur in der Endphase mitentscheidet. Ich versuche, die wenigen Tage, die ein Festival im Jahr hat, zu einem Fest für den Dokumentar- und Animationsfilm zu machen.

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