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Alexander, der fünfte

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ALEXANDER ILJINSKIJ

Foto: privat

Seine Hobbys sind die Oper, ein Dackel und Kraftsport. Der 45jährige hat eine drahtige, untersetzte Figur und schmückt sich mit einem sauber gestutzten Menjou unter der Nase und einer prachtvollen Kojack-GIatze mit Millimeterhaar. Alexander Iljinskij, der Mann mit dem russisch klingenden Namen, stammt aus Reichenbach im Vogtland, dem Musikwinkel der DDR. Er wurde am 1. Oktober von Kultursenator Roloff-Momin als neuer Leiter des Friedrichstadtpalastes berufen.

Ein Jahr zuvor, auf den Tag genau, hatte der vom gleichen Politiker zum Intendanten des Palastes bestellte Prof. Julian Herrey seinen Chefdramaturgen Iljinskij wegen „künstlerischer Differenzen“ beurlaubt. Das beschleunigte die Krisensituationen des Hauses, die durch Kraftakte des (Wessi)-Hausherrn gegen seine Mitarbeiter ausgelöst wurden, führte zu weiteren Grabenkämpfen. Vielen Berlinern schmeckten die neuen artistisch-künstlerischen Angebote nicht. Die Besucherzahlen gingen zurück und das Haus schlingerte immer tiefer in die roten Zahlen. Jetzt nuckelt es an einem Zuschuß von 25 Millionen Mark aus Steuergeldern, was nicht so bleiben kann.

Alexander Iljinskij als neuer Hoffnungsträger, als Illusionist, der aus dem Chapeau claque Geldschei-ßer zaubern kann? Wer das erwartet, ist auf dem Holzweg. Die existentiellen materiellen Probleme des Revuetheaters lassen sich angesichts des desolaten Berliner Haushalts nur unter Einbeziehung privaten Kapitals lösen. Bis zum 1. Januar 1994 soll nun eine GmbH gegründet werden, in die vom Senat die kostbare Immobilie mit Umfeld eingebracht wird, aber in der

vorläufig das Land Berlin finanziell den Hut auf hat.

Von Iljinskij wird nicht erwartet, daß er sich im Geschwindschritt zum Finanzgenie entwickelt, sondern er soll das Haus, das in Europa nicht seinesgleichen hat, gemeinsam mit den Mitarbeitern und attraktiven Gästen in seinem Unterhaltungswert so profilieren, daß es für die Berliner und für ein internationales Publikum wieder zum Erlebnis wird.

Die persönlichen Voraussetzungen sind gut. Der diplomierte Psychologe hat Theaterwissenschaften studiert und an der Schauspielschule „Ernst Busch“ ein Lehramt ausgeübt, auch am Berliner Schauspielhaus gearbeitet. 1988 wechselte er als Dramaturg zum Friedrichstadtpalast und 1990 war er dort Chefdramaturg. Nach seinem Rausschmiß hat er sich im Genre Revue und Musical in Paris, London, New York und Las Vegas umgeschaut, Interessantes entdeckt. Was fand er außerdem? Auch dort wird mit Wasser gekocht.

Nun ist er der Chef, der fünfte seit dem Fall der Mauer. Wir sollten ihm die Daumen drücken und wieder mal in den Friedrichstadtpalast gehen.

HORST KNIETZSCH

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