Das Gewinnstreben braucht keine Unternehmer mehr

Harald Werner

Die PDS- Programmdiskussion erhitzte sich unter anderem an einem Satz, in dem das unternehmerische Handeln und Gewinninteresse als wichtige Bedingungen für Innovation und betriebswirtschaftliche Effizienz bezeichnet werden. Die Formulierung wurde zwar entscheidend verändert, doch selbst nach dieser Klarstellung bleiben erhebliche Zweifel, ob das Programm nicht von einem längst überwundenen Kapitalismus spricht. Insbesondere weil wir heute mit einem Entwicklungsstadium konfrontiert sind, in dem sich hauptsächlich das Gewinninteresse der Vermögensbesitzer und nicht mehr das der Unternehmer durchsetzt. Wobei der Handel mit Vermögenswerten die Ausbeutung von Mensch und Natur wie der gesamten Gesellschaft wesentlich effektiver und gnadenloser durchsetzt, als es das Gewinninteresse des persönlich handelnden Unternehmers jemals vermocht hätte.
Die globalisierte Vermögenswirtschaft unterscheidet sich auch vom herkömmlichen Monopolkapitalismus, weil sie als ein sich selbst regulierendes System funktioniert, das selbst unternehmerisches Handeln zu einer höchst fremdbestimmten Angelegenheit macht. Fremdbestimmt, weil selbst die größten Monopole von den launischen Zuckungen der Börse abhängen und ihre gesamte Strategie auf das Gewinninteresse der nichtunternehmerischen Kapitaleigner ausrichten müssen.
Den mit seinem Gewinnstreben für Effizienz und Innovation sorgenden Unternehmer haben bereits die Ökonomen Schumpeter und Keynes in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als Auslaufmodell abgehakt, weil er von der Monopolbürokratie beziehungsweise von den Rentiers in den Hintergrund gedrängt worden war. Heute sind es fast nur noch die Rentiers - oder modern ausgedrückt die Shareholder -, die nicht nur der Wirtschaft, sondern vor allem auch der Politik ihre Vorgaben aufdrücken.
Der Paradigmenwechsel begann Mitte der 70er Jahre, als die Wachstumsraten abbrachen, der Kapitalüberschuss keine ausreichenden Verwertungsmöglichkeiten mehr fand und das Kapital neue Bewegungsräume suchte. Sie wurden von der neoliberalen Politik geschaffen, die die nationalstaatlichen Grenzen für den ungehemmten Kapitalverkehr öffnete, die Staatsverschuldung zu Gunsten der Geldstabilität drückte, die Arbeitskraft verbilligte und eine schier endlose Kette aus Sozialabbau, Deregulierung und Steuersenkungen knüpfte, um das auf den Finanzmärkten herumvagabundierende Kapital in den eigenen nationalen Standort zu locken.
Das Eigentum an den Produkti-onsmitteln ist nach der Deregulierung der Finanzmärkte eine äußerst flexible Angelegenheit geworden, weil hinter jedem Konzern Hunderttausende oder gar Millionen Anteilseigner stehen, die ihre Anteile manchmal schneller als die Unterwäsche wechseln, falls ein Papier zu erwerben ist, dessen Wertsteigerung binnen kurzem mehr Profit bringt als die übliche Jahresrendite. Wobei dieser schnelle Wechsel von dem einen in das andere Eigentum kaum von den persönlichen Besitzern, als von den institutionellen Anlegern vorangetrieben wird: Investment- und Pensionsfonds oder Lebensversicherungen, die unzählige mehr oder weniger bedeutende Vermögen zu verwalten haben und von nichts anderem als dem Gewinninteresse ihrer Kunden getrieben werden. Ihre Macht gründet sich auf die gebündelte Kaufkraft von Gelegenheitsspekulanten, Spitzenverdienern der Sport- und Medienwelt sowie auf betuchte Erben ehemaliger Großunternehmen. Diese modernen Shareholder wissen weder von ihren konkreten Anteilen am Produktivvermögen, noch von den Folgen ihres Gewinninteresses, und doch sind sie es, die dem neoliberalen Terror der Ökonomie die eigentli-che Schubkraft verleihen.
Inzwischen ist diese Gruppe der tatenlosen Vermögensgewinner zu einer sozialen Massenschicht ge-worden, deren vereinigtes Gewinninteresse wie ein Alb auf der Realwirtschaft lastet. Ende des vergangenen Jahres gab es in Deutschland 755000 private Anleger mit einem Investitionsvolumen von mehr als einer Million Euro, und ihre Zahl hat 2002 um 3,4Prozent zugelegt, obwohl die Wirtschaft um nur 0,6Prozent wachsen konnte. Insgesamt belief sich das private Netto-Geldvermögen Ende 2002 auf 2,2Billionen Euro und war damit größer als das gesamte Brutto-Inlandsprodukt. Der Renner unter allen privaten Vermögen ist der Besitz an Investmentfonds, der 2002 von der Bundesbank mit 424,9Milliarden Euro veranschlagt wurde und seit 1992 um sagenhafte 293Prozent gestiegen ist.
Die privaten Aktienpakete der Deutschen erreichen nicht einmal die Hälfte dieser Summe und kamen am Ende des vergangenen Jahres gerade mal auf 192,3Millarden Euro, was einem Wachstum in den vergangenen zehn Jahren von »nur« 42,3Prozent entspricht.
Die wahre Macht, die sich hinter diesen Zahlen verbirgt, ist kaum zu überschätzen. Selbst die 30reichsten Familien, die hinter den großen Konzernen und Banken dieses Landes stehen, halten mit ihrem Gesamtvermögen von 352Milliarden Euro nur ein Sechstel des deutschen Kapitalvermögens, während die namenlosen Besitzer von Fondsanteilen eine Marktmacht von 424,9Milliarden Euro in die Waagschale werfen. Wobei allerdings der Illusion vorgebeugt werden muss, dass sich damit eine Art Volkskapitalismus durchgesetzt hätte. Im Gegenteil: Die neue Vermögenswirtschaft stützt sich zwar auf eine Massenschicht, aber diese ist eine soziale Minderheit. Über 42Prozent aller privaten Geldvermögen befinden sich in den Händen des oberen Zehntels der Gesellschaft, während es die untere Hälfte gerade mal auf 4,5 Prozent bringt.
Entscheidend für diesen neuen Shareholder-Kapitalismus und die wachsende Dominanz der Vermögenswirtschaft ist aber nicht die soziale Spaltung, sondern der Unterschied zum alten Monopolkapitalismus. Das Monopolkapital war auf eine kleine soziale Klasse konzentriert und hatte sogar noch ein gewisses nationales Interesse am eigenen Standort. Die ebenso anonyme wie diffuse Massenschicht der Vermögensgewinnler ist ausschließlich an der Rendite interessiert - egal wo, wodurch und unter welchen Bedingungen sie erwirtschaftet wird.
Als einzelne Individuen sind diese neuen Kapitalisten ebenso machtlos wie unwissend, aber in der Masse sind sie eine rücksichtslose Marktmacht, vor der selbst Konzernbosse und Regierungen zittern. Sie sind der soziale Resonanzboden für Deregulierung, Sozialabbau und Weltmarktorientierung. Und sie sind eine gesellschaftlich wie politisch meinungsbildende Schicht. Man muss der nüchternen Tatsache ins Auge schauen, dass die neoliberale Politik, wie auch die Strategie der Agenda 2010 auf das Gewinninteresse dieser nichtunternehmerischen Massenschicht zielt.
Wer dagegen ein längst nicht mehr relevantes Unternehmertum beschwört oder abstrakte Großkapitale für den Terror der Ökonomie verantwortlich macht, der verkennt den eigentlichen Gegner. Der steht immer noch im eigenen Land und nicht auf den globalen Märkten, aber ihm ist nicht mehr mit den klassischen Strategien der Arbeiterbewegung beizukommen. Tarifverhandlungen und Streiks lassen ihn eben so ungerührt wie Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten. Die modernen Kapitalisten haben mit alledem nichts zu tun, obwohl sie als
anonymes Drohpotenzial in jeder Tarifrunde, jedem Aufsichtsrat und an jedem Kabinettstisch Platz nehmen.
Am Ende einer solchen Betrachtung drängt sich unversehens die alte Eigentumsfrage auf, wenn auch in gänzlich unbekannter Form. Wir müssen über eine Politik nachdenken, die der Vermögenswirtschaft zunächst Grenzen setzt und dann mit Mitteln wie der Steuerpolitik oder auch mit Zwangsanleihen dazu beiträgt, die gewaltigen Finanzmassen wieder in gesellschaftlich nützliche Investitionen zu verwandeln. Wahrscheinlich wird das nicht leichter durchsetzbar sein als die alte Forderung nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Aber es ist die derzeitig einzige Möglichkeit, dem Terror der Ökonomie Grenzen zu setzen.

Harald Werner ist Gewerksc...

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