Castor-Einsatz auf Weg in Polizeistaat

Leitende Beamte wegen Gesetzesverstößen angezeigt

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat verantwortliche Polizeibeamte wegen Gesetzes-Verstößen beim jüngsten Castor-Einsatz im Wendland angezeigt. In einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Lüneburg beantragte Vorstandsmitglied Eduard Bernstein, sofort Ermittlungen einzuleiten.
Nach Ansicht des BBU hat die Polizei in mindestens drei Fällen gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Bei der Räumung einer Trecker-Blockade im Dorf Groß-Gusborn seien Castor-Gegner laut Zeitungsberichten »von Treckeranhängern gezerrt, getreten und geschlagen« worden. Ein Mann sei durch Tritte in die Genitalien und ins Knie verletzt worden. Der BBU sieht das als fahrlässige bzw. gezielte Körperverletzung an. Als die Castoren am Dienstag vergangener Woche den Dannenberger Verladekran erreichten, wollte ein Notarzt einem verletzten Demonstranten zur Hilfe eilen. Nach Augenzeugen- und Medienberichten schlugen Beamte dem Mediziner die Brille aus dem Gesicht und verboten ihm die Hilfeleistung. »Das war Körperverletzung und Beihilfe zur Verhinderung einer Notarztversorgung«, sagte Bernstein. Den Tatbestand der Freiheitsberaubung sieht der BBU dadurch erfüllt, dass die Polizei in der Ortschaft Laase die rund 100 Besucher des Kulturzeltes, das Castorgegner rund 500 Meter von der Transportstrecke entfernt aufgebaut hatten, eingekesselt und ihnen das Verlassen des Geländes untersagt hatte. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das den Castortransport mit 13 Beobachterinnen und Beobachtern begleitet hatte, sieht Deutschland »auf dem Weg in den Atomstaat«. In ihrem Bericht gelangen die Bürgerrechtler zu dem Schluss, »dass die Gefahr für die Demokratie eher größer geworden ist, dass wir uns auf dem Weg in den Überwachungsstaat, ja, den Polizeistaat befinden«. Unter anderem prangert das Grundrechte-Komitee den »immer selbstverständlicher genutzten« Einsatz von Spitzeln und verdeckten Ermittlern an. Mehrere nach einer Schienen-Blockade in Gewahrsam genommene Demonstranten seien stundenlang mit dem Hinweis auf Spitzel-Aussagen festgehalten worden. Danach hätten die in Bürger-Initiativen eingeschleusten Zivil-Fahnder gehört, dass sich die Castor-Gegner nach einer Räumung durch die Polizei erneut auf die Transport-Strecke begeben wollten. Zum Schutz der Eigentumsrechte der Transportfirma seien Eigentumsrechte der Bürger immer wieder missachtet und »mit Füßen getreten« worden, kritisierte Komitee-Sprecherin Elke Steven. So habe die Polizei dutzende Traktoren ohne konkreten Verdacht beschlagnahmt und stillgelegt. Das Privatgrundstück, auf dem die Schlepper standen, sei ebenfalls beschlagnahmt und von der Einsatzleitung als Materiallager genutzt worden. Bei der Einkesselung hunderter Demonstranten in Grippel hätten Polizisten gleichfalls Privatgrundstücke in Beschlag genommen und mutwillig Zäune eingerissen. Aus einer Bilanz des niedersächsischen Innenministeriums über den Castor-Einsatz geht hervor, dass die Polizei insgesamt 1247 Atomgegner festgenommen hat oder »in Gewahrsam« nahm. Dazu zählt auch das nächtliche Einkesseln von 600 Personen in Grippel. »Das war absolut notwendig«, rechtfertigte Innenminister Uwe Schünemann (CDU) das Vorgehen. Nur so habe man den Castor-Transport »vernünftig durchführen« können. Laut Schünemann wurden im Zusammenhang mit dem Transport 85 Strafverfahren eingeleitet. Den Beschuldigten werde u. a. Teilnahme an Sitzblockaden und das Werfen von Feuerwerkskörpern auf Beamte zur Last gelegt. Auch mehrere Polizeifahrzeuge seien beschädigt worden. Nach Angaben des Ministeriums gab es beim Castor-Einsatz 27 leicht verletzte Beamte, 17 seien durch Demonstranten verletzt worden. Die Bürgerinitiativen sprechen von rund 120 Verletzten in ihren Reihen. Die Betroffenen hätten Knochenbrüche, Pellungen, Bänderrisse und Nierenquetschungen erlitten oder seien von Polizeihunden gebissen worden.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal