M.M. und die Neider

Von Rainer Braun

Der Befund ist nicht neu: Erfolg macht verdächtig zwischen Rügen und Watzmann. Zugestanden wird der Starruhm allenfalls Akteuren, die es in Hollywood zu etwas gebracht haben und nicht quer zum Mainstream der Lohnschreiberei liegen. Da macht auch die Linke keine Ausnahme. Besonders, wenn Geld verdient wird, kommt neben dem Verdacht noch der Neid ins Spiel. Vergessen wird allzu oft, dass der Kapitalismus auch an seiner Kritik gut verdient. Die legendäre Regenbogen-Reihe von Suhrkamp war über Jahrzehnte ein Beleg dafür, dass sich kritische Theorie und provokantes Theater durchaus profitabel unter die geneigte Leserschaft bringen ließen. Besonders ungnädig geht die veröffentlichte Meinung dagegen in Zeiten politischer Korrektheit mit Menschen um, die schwer verortbar sind. Was in diesem Fall vor allem heißt, dass ihr Erfolg offensichtlich ohne den gut geölten PR-Apparat dieser Republik zu Stande kommt. Ein Paradebeispiel gibt in jeder Hinsicht Michael Moore ab, der sich auch auf den zweiten Blick gängigen Rubrizierungen entzieht. Der Mann ist sichtbar weiß - sein Zorn auf die Bush-Administration würde bei dunklerer Hautfarbe fraglos anders und in milderem Licht bewertet werden - und übergewichtig, was niemand zu erwähnen vergisst, der über ihn schreibt. Moore ist vordergründig kein Marxist, sondern aufrichtiger Patriot. Er hasst alkoholfreies Bier, die verlogenen Republikaner und die populistischen Demokraten der USA. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn er damit nicht die Erwartungshaltung unseres Politik- und Medienbetriebes stören würde und brillante, aber folgenlose akademische Abhandlungen schriebe, die wie Blei in Bücherregalen lägen. Moore aber hat Erfolg mit seinen Filmen und Büchern. »Bowling for Columbine« hat nicht nur den »Oscar« als bester Dokumentarfilm erhalten, sondern zugleich alle Umsatzrekorde in diesem Genre geschlagen. »Stupid White Men« ging weltweit vier Millionen Mal über die Ladentische (1,3 Millionen Exemplare im deutschsprachigen Raum) und hält sich hartnäckig in des Bestsellerlisten der USA wie hier zu Lande. »Volle Deckung Mr. Bush« wurde binnen einer Woche in Deutschland 250000 Mal verkauft, der Vorgänger »Downsize this« kommt auf ähnliche Zahlen. Das hat den Piper-Verlag in Zeiten, in denen die Buchbranche unisono über stagnierende Umsätze stöhnt, sehr entspannt gemacht und Mister Moore zu einem auskömmlichen Leben verholfen. Mithin einem Zustand, dem er lange nicht fröhnen durfte. Ist daran irgendetwas verwerflich? Dürfen Gesellschaftskritiker nur am Rande der Sozialhilfe existieren und düster über ihre Befindlichkeit greinen? Nein, es ist Zeit, sich klammheimlich zu freuen über »Komplexitätsreduktoren« (taz) und Autoren, »die ein außerordentlich dummes und von Verschwörungstheorien vollgestopftes Buch« (SZ) schreiben. Denn Moore redet Tacheles und hält seinen Finger in die Sollbruchstellen unserer Konsens-Gesellschaft: Die Wahlmanipulationen des Bush-Clans, das Enron-Desaster, die Verbindungen des US-Establishments mit Saudi-Arabien, dessen Eliten beim Attentat vom 11.September 2001 eine Rolle spielten. Moore arbeitet Zeitgeschichte in einer Lesart auf, die auch hier zu Lande nur noch selten und - zumindest im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - in Nischen vorkommt. Da machte auch sein Auftritt bei »Kerner« nur eine Ausnahme, der ihn zwar nicht wie Boris Becker vier Mal, aber immerhin für einen 20-minütigen Auftritt ins Studio nach Hamburg einlud. Wenn die »Zeit« das Vorwort seines aktuellen Bestsellers unkommentiert abdruckt und Kerner um einen wie Moore trotz launiger Redaktionsarbeit aus Quotengründen nicht herumkommt, ist einiges erreicht in diesem Land. Denn auch wenn sich nur wenige mit dem originellen Witz und der Qualität der Erzählweise seiner Bücher, Filme und TV-Produktionen auseinander setzen mögen, hat Moore es inzwischen jenseits der Konventionen des Medienbetriebes geschafft, als Stimme des »anderen Amerika« wahrgenommen zu werden. Und das wiederum hat mehr mit gesundem Menschenverstand in diesem Lande zu tun als manchen Meinungsführern lieb sein kann. Moore ist heute so unprätentiös wie 1990, als er »Roger und Moore« in Leipzig und auf der Berlinale vorstellte. Klug hat er eine Crew von Rechercheuren und Journalisten um sich versammelt, die ihm hässliche Prozesse ersparen. Das sollten jene zur Kenntnis nehmen, die Online-Archive seiner Gegner durchforsten, um ihn in seiner Glaubwürdigkeit zu beschädigen, die seine Physiognomie aufs Korn nehmen oder seinen Lebensstandard kritisieren. Das spricht nicht eben für das Niveau der Auseinandersetzung mit einem Publizisten und Filmemacher, der Gesellschaftskritik faktenreich und amüsant artikuliert und nie mehr sein wollte als e...

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