Rassismus-Alltag für Yesilyurt

Chauvi-Geheul in Brandenburg

  • Lesedauer: 2 Min.
Es klang wie ein emotionaler Dammbruch. Laut, vielstimmig, bestimmt. »Ihr Türkenschweine!«, schrien plötzlich die Bürger. Vermeintlich zivilisierte Bürger, aus Brandenburg an der Havel, unter der überdachten Tribüne des Fußball-Oberligisten Brandenburger SC Süd 05, der am Sonntag im Viertliga-Punktspiel den SV Yesilyurt aus Berlin empfing. Zuvor konnten die heimischen Zuschauer lange solch gruppendynamische Verhaltensweise unterdrücken und riefen nur vereinzelt den Spielern Beleidigendes zu, wenn diese sich gerade in ihrer Nähe befanden. Doch nach 88 fairen Minuten, es stand 1:0 für den BSC Süd, löste sich die Zurückhaltung des Publikums, das plötzlich seine Einstellung gegenüber der Yesilyurt-Elf, in der acht Spieler türkische und zwei italienische Nachnamen tragen, unbedingt kollektiv kundgeben wollte. Keine Ausnahme bei Yesilyurts Auswärtsspielen. Gelegentlich lassen sich die Gegenspieler gehen: »Haut ab, ihr Kanaken« sandte vor vier Wochen ein Eisenhüttenstädter Spieler in die Richtung, in der auch die Spielerbank der Weddinger Mannschaft stand. Das Sportgericht des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV), seinem Verständnis nach der staatlichen Gerichtsbarkeit vorgeschaltet, um unter Sportfreunden regulierend einzugreifen, erkannte jetzt eine Strafe in Höhe von 50 Euro als angemessen an. »Vermutlich provoziert worden« sei der Spieler, hieß es dazu in der Verhandlung. Den gleichen Betrag hatte im selben Verfahren Yesilyurts Trainer wegen Verlassens der Coaching-Zone zu berappen. Eine Straftat wurde mit einem Regelverstoß gleichgesetzt. Eine Beleidigung des Schiedsrichters ist übrigens, auch bei nachfolgender Entschuldigung, folgenschwerer: Rote Karte und Spielsperre. »Ich hatte heute 150 Euro dabei, da hätte ich also drei Spieler beleidigen können«, rechnete Yesilyurts Manager Gökmen Ilkyaz nach der Provokation in Brandenburg mit schwarzem Humor vor. Ach ja, passiert war in jener 88. Minute in Brandenburg folgendes: Der Türkei-Deutsche Taskin Aksoy foulte rotverdächtig seinen Gegenspieler, der Schiedsrichter pfiff sofort. Doch der Anlass schien auch nicht wirklich wichtig für das Publikum. Man hatte sich etwas vorgenommen für diesen sonst so ereignisarmen Sonntag... Ingmar Hoefgen
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