Frauenquote am Hindukusch?

Vizeministerin Soraya Rahim: 92 Prozent der Afghaninnen sind analphabetisch

Die 46-jährige Gynäkologin Soraya Rahim ist seit Dezember 2001 stellvertretende Frauenministerin Afghanistans. Seitdem kämpft sie für die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen am Hindukusch.

ND: Zwei Jahre sind seit dem Krieg in Afghanistan vergangen. Wie ist die Situation von Frauen und Mädchen heute?
Rahim: Die afghanische Gesellschaft ist traditionell männerdominiert. Unser Frauenministerium hat viele Feinde. Sie sagen, Frauenrechte verstoßen gegen den Islam. Wir werden beschimpft und bekommen Drohbriefe. Die Zeiten der Taliban, als Frauen nicht wie Menschen behandelt wurden, das Haus nicht ohne männliche Begleitung verlassen und weder zur Schule noch zur Arbeit noch zum Arzt gehen durften, sind vorbei, aber sicher sind Frauen nach wie vor nicht, vor allem außerhalb Kabuls. Sie werden immer noch angegriffen, wenn sie keine Burka tragen, Mädchenschulen wurden abgebrannt. 92 Prozent der weiblichen Bevölkerung sind Analphabetinnen. Allein in Kabul leben 60000 Witwen und 80000 Waisenkinder, zumeist in Zelten oder auf der Straße

Was bedeutet es unter solchen Bedingungen, Frauenpolitik zu machen?
Wir mussten bei Null anfangen. Trotzdem haben wir es geschafft, in 29 von 32 Provinzen Frauenzentren einzurichten. Dort - vor allem allerdings in Kabul - werden auch Alphabetisierungs- und Computerkurse angeboten. Frauen können dorthin flüchten, vor den Taliban oder vor prügelnden Ehemännern. Es gibt Beschäftigungsprogramme für Frauen, speziell für Witwen. In einem Nähkurs werden beispielsweise Schuluniformen genäht. Leider sind die Voraussetzungen der Frauen sehr schlecht. Viele können nicht lesen und schreiben, sie haben keinerlei Ausbildung. Täglich kommen etwa 20 Frauen zu mir ins Ministerium, die sagen: »Ich bin Witwe, habe mehrere Kinder. Habt ihr eine Arbeit für mich?« Wenn ich dann frage: »Was können Sie denn?«, bekomme ich meistens die Antwort: »Putzen.« Sie können sich sicher vorstellen, wie groß der Bedarf an Putzfrauen in Kabul ist.

Demnächst tagt die Loya Jirga, die große Ratsversammlung der afghanischen Stämme. Was erwarten die Frauen davon?
Die Versammlung ist sehr wichtig für uns, denn sie soll die Verfassung des künftigen afghanischen Staates verabschieden. Unser Ministerium hat die Arbeitsgruppe »Geschlecht und Recht« gegründet. Sie hat Vorschläge ausgearbeitet, um die Frauenrechte in der Verfassung zu verankern. Denn nur wenn unsere Rechte festgeschrieben sind, haben wir eine Grundlage, auf der wir sie durchsetzen können. Ganz wichtig für uns ist die Teilnahme von Frauen an den politischen Entscheidungsprozessen. Wir versuchen zu organisieren, dass aus jeder Provinz zwei Frauen zur Loya Jirga delegiert werden. Unsere Forderung für ein künftiges Parlament ist eine Frauenquote von 50 Prozent.
Außerdem wollen wir, dass Frauen in die Führung einbezogen werden. Frauen sollen nicht nur Teppichknüpferinnen, sondern auch Managerinnen, Institutsleiterinnen, Professorinnen werden.

Welche Konsequenzen hätte es, wenn afghanische Flüchtlinge aus Europa in Ihr Land abgeschoben werden, wie das beabsichtigt ist?
Uns würde das zusätzliche gravierende Probleme bereiten. Acht Millionen Afghanen haben keine Arbeit. Die Armut macht die Menschen käuflich, für einen Dollar sind sie bereit zu morden. Wir haben eine ganze Generation, die nichts anderes kennt als Krieg. Bereits jetzt müssen viele Probleme gelöst werden. Wie sollen da zigtausend zusätzliche Personen versorgt werden? Afghanistan braucht sicherlich ausgebildete Fachkräfte. Aber die müssen freiwillig kommen, nicht unter Zwang. Viele Jugendliche, die außerhalb Afghanistans aufgewachsen sind, kommen mit der Kultur und den Traditionen nicht zurecht, viele sprechen nicht einmal die Sprache. Durch die geplanten Abschiebungen wären neue soziale Probleme programmiert. Überhaupt halte ich es für eine Katastrophe, dass Zwangsrückführungen überhaupt möglich sind. Nicht nur in Afghanistan, sondern überall auf der Welt.

Fragen: Birgit GärtnerND: Zwei Jahre sind seit dem Krieg in Afghanistan vergangen. Wie ist die Situation von Frauen und Mädchen heute?
Rahim: Die afghanische Gesellschaft ist traditionell männerdominiert. Unser Frauenministerium hat viele Feinde. Sie sagen, Frauenrechte verstoßen gegen den Islam. Wir werden beschimpft und bekommen Drohbriefe. Die Zeiten der Taliban, als Frauen nicht wie Menschen behandelt wurden, das Haus nicht ohne männliche Begleitung verlassen und weder zur Schule noch zur Arbeit noch zum Arzt gehen durften, sind vorbei, aber sicher sind Frauen nach wie vor nicht, vor allem außerhalb Kabuls. Sie werden immer noch angegriffen, wenn sie keine Burka tragen, Mädchenschulen wurden abgebrannt. 92 Prozent der weiblichen Bevölkerung sind Analphabetinnen. Allein in Kabul leben 60000 Witwen und 80000 Waisenkinder, zumeist in Zelten oder auf der Straße

Was bedeutet es unter solchen Bedingungen, Frauenpolitik zu machen?
Wir mussten bei Null anfangen. Trotzdem haben wir es geschafft, in 29 von 32 Provinzen Frauenzentren einzurichten. Dort - vor allem allerdings in Kabul - werden auch Alphabetisierungs- und Computerkurse angeboten. Frauen können dorthin flüchten, vor den Taliban oder vor prügelnden Ehemännern. Es gibt Beschäftigungsprogramme für Frauen, speziell für Witwen. In einem Nähkurs werden beispielsweise Schuluniformen genäht. Leider sind die Voraussetzungen der Frauen sehr schlecht. Viele können nicht lesen und schreiben, sie haben keinerlei Ausbildung. Täglich kommen etwa 20 Frauen zu mir ins Ministerium, die sagen: »Ich bin Witwe, habe mehrere Kinder. Habt ihr eine Arbeit für mich?« Wenn ich dann frage: »Was können Sie denn?«, bekomme ich meistens die Antwort: »Putzen.« Sie können sich sicher vorstellen, wie groß der Bedarf an Putzfrauen in Kabul ist.

Demnächst tagt die Loya Jirga, die große Ratsversammlung der afghanischen Stämme. Was erwarten die Frauen davon?
Die Versammlung ist sehr wichtig für uns, denn sie soll die Verfassung des künftigen afghanischen Staates verabschieden. Unser Ministerium hat die Arbeitsgruppe »Geschlecht und Recht« gegründet. Sie hat Vorschläge ausgearbeitet, um die Frauenrechte in der Verfassung zu verankern. Denn nur wenn unsere Rechte festgeschrieben sind, haben wir eine Grundlage, auf der wir sie durchsetzen können. Ganz wichtig für uns ist die Teilnahme von Frauen an den politischen Entscheidungsprozessen. Wir versuchen zu organisieren, dass aus jeder Provinz zwei Frauen zur Loya Jirga delegiert werden. Unsere Forderung für ein künftiges Parlament ist eine Frauenquote von 50 Prozent.
Außerdem wollen wir, dass Frauen in die Führung einbezogen werden. Frauen sollen nicht nur Teppichknüpferinnen, sondern auch Managerinnen, Institutsleiterinnen, Professorinnen werden.

Welche Konsequenzen hätte es, wenn afghanische Flüchtlinge aus Europa in Ihr Land abgeschoben werden, wie das beabsichtigt ist?
Uns würde das zusätzliche gravierende Probleme bereiten. Acht Millionen Afghanen haben keine Arbeit. Die Armut macht die Menschen käuflich, für einen Dollar sind sie bereit zu morden. Wir haben eine ganze Generation, die nichts anderes kennt als Krieg. Bereits jetzt müssen viele Probleme gelöst werden. Wie sollen da zigtausend zusätzliche Personen versorgt werden? Afghanistan braucht sicherlich ausgebildete Fachkräfte. Aber die müssen freiwillig kommen, nicht unter Zwang. Viele Jugendliche, die außerhalb Afghanistans aufgewachsen sind, kommen mit der Kultur und den Traditionen nicht zurecht, viele sprechen nicht einmal die Sprache. Durch die geplanten Abschiebungen wären neue soziale Probleme programmiert. Überhaupt halte ich es für eine Katastrophe, dass Zwangsrückführungen überhaupt möglich sind. Nicht nur in Afghanistan, sondern überall auf der Welt.

Fragen: Birgit Gärtner

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