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  • Die politische und juristische Abrechnung mit Berija vor 40 Jahren sollte Stalin und das von ihm geschaffene System vor Kritik bewahren

Das Ende einer blutigen Karriere

  • Lesedauer: 4 Min.

Am 23. Dezember 1953 wurde Lawrenti Pawlowitsch Berija vom Sondertribunal des Militärgerichtshofes der UdSSR zum Tode verurteilt. Noch am gleichen Tag wurde er erschossen. Seiner juristischen Verurteilung war die politische auf einem ZK-Plenum vorangegangen, das nachfolgend VIKTOR KNOLL, Mitherausgeber des im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen stenographischen Berichts des Juli-Plenums (Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung. 1993, 364 S., br. 19,80 DM), reflektiert. Mit dem Tod von Josef Stalin am 5. März 1953 war in der obersten Führungsetage der UdSSR eine eigentümliche Situation eingetreten. Die Nachfolge in Stalins Ämtern war nicht zu dessen Lebzeiten geklärt worden. Das Machtvakuum war jedoch schnellstens auszufüllen. Wenn auch dem

Volk suggeriert wurde, daß „ein Kollektiv Stalins Platz an der Führung ausfüllen“ sollte, da „nur ein Kollektiv den Genossen Stalin ersetzen“ könne, so gab es im Kreise der Präsidiumsmitglieder nicht wenige, die sich zu durchaus Größerem berufen fühlten. Nikita Chruschtschow, der nach dem Dahinscheiden des Diktators als Erster Sekretär des ZK die Führung der Partei übernommen hatte, hegte die ärgsten Befürchtungen vor allem gegenüber Berija, Stalins Chefhenker und Kustos des riesigen Repressivapparates.

Chruschtschows Argwohn sollte sich bald bestätigen. Im Mai erhielt er Kenntnis von einem geheimen Zirkular des Ministeriums für Staatssicherheit, das die Sicherheits-

organe anwies, alle ihnen unterstehenden Kräfte zu mobilisieren und in erhöhter Alarmbereitschaft zu halten. Die undichte Stelle in Berijas Ministerium war kein geringerer als der stellvertretende Chef der Staatssicherheit Iwan Serow. Auch Sergej Kruglow, Innenminister der UdSSR, informierte den 1. Sekretär des ZK eingehend über alle Schritte des machtbesessenen Berijas. Chruschtschow stand vor der Alternative, entweder dem Putsch durch eine Verschwörung des Parteipräsidiums zuvorzukommen oder das Feld kampflos zu räumen. Er entschied sich für die erste Variante.

Die Stunde der Wahrheit schlug am 26. Juli 1953. Als Berija an diesem Tage die Sit-

zungsräume im Kreml betrat, um einer regulären Tagung des Präsidiums beizuwohnen, wurde er von einer Gruppe hochrangiger Militärs, die auf abenteuerliche Weise auf das Kremlgelände eingeschleust worden waren, verhaftet. Die Palastrevolte glückte, wobei es für Chruschtschow kein leichtes Spiel gewesen war, die Präsidiumsmitglieder für seine Pläne zu gewinnen.

Wenige Tage danach fand das Plenum des ZK der KPdSU statt, auf dem der „Fall Berija“ verhandelt wurde. In den Anklagereden auf dem Plenum trat das gleiche Denk- und Handlungsraster zutage, das einst Berija angewandt hatte, um die vermeintlichen „Volksfeinde“ und Gegner des „weisen Führers“

zu liquidieren. Nun war er der Beelzebub, ein „Volksfeind“, ein Verräter an der Sache des Kommunismus und ein „Agent imperialistischer Geheimdienste“. Dies war eine Sprache, die jedes ZK-Mitglied verstand und jeder wußte, was die Stunde geschlagen hatte.

Das Plenum war ein politisches Tribunal. Berija mußte dafür herhalten, Stalin und das von ihm geschaffene System aus der Kritik herauszuhalten. Um den Sündenfall Berijas zu belegen, schien jeder Vorwurf recht. Entscheidend für das Urteil waren jedoch weder die vermeintliche oder tatsächliche Absicht des Sicherheitschefs, die DDR preiszugeben, noch die offenbar von ihm angestrebte Nor-

malisierung des Verhältnisses zum „Erzverräter“ Tito. Im Selbstverständnis der Ankläger verkörperte Berija die „Auswüchse“, Verzerrungen“ und „Überspitzungen“ des Systems, dessen Erhaltung und Festigung sie sich zur Aufgabe gestellt hatten. Er wurde für „alle schlimmen Dinge“, alle Mißstände in Politik und Wirtschaft verantwortlich gemacht. An dem einst Berija unterstehenden Lagersystem (GULAG) hatte kaum jemand etwas auszusetzen, es wurde lediglich dessen wirtschaftliche Insuffizienz beklagt. Eine Erklärung für den Terror und die politisch begründeten Gewaltakte wurde nicht gegeben. Dagegen beklagte ein Redner, daß es ein „Unglück“ gewesen sei, daß „so gemeine Menschen wie Jagoda, Jeshow, Abakumow und Berija an die Spitze des Innenministeriums gelangten“.

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