Im Doppeldecker quer über Afrika

  • Stefan Tesch
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf die Spuren früherer Postflieger begaben sich im Herbst vier Sachsen. Ihr »Vogel« war eine 46 Jahre alte Antonow, die in Südafrika 12000 Kilometer über Berge, Meer, Wüste und Dschungel flog - Abenteuer inklusive.
Wolfram Nicolai setzt zur dritten Runde an. Zweimal hat er versucht, die Felswand der Ngorongoro-Kraters zu überfliegen, aber noch reicht es nicht für die langsame, schwer beladene Antonow. In dem windgeschützten Vulkanbecken gewinnt sie nur mühsam an Höhe. Die anderen stört es nicht. Ihre Blicke hängen fasziniert den gewaltigen Gnu- und Zebraherden, den Nashörnern und Elefanten nach, denen sie sich eben bis auf 100 Meter Tiefe genähert hatten. Hinter ihnen erhebt sich der Ol Doinyo Lengai, der heilige Berg der Massai. Endlich hat Nicolai so viel Höhe aufgebaut, dass sie über die Kraterwand kommen. So kann es weitergehen, Richtung Indischem Ozean, zur Insel Pemba. Gert Franke schaut zum Cockpit hinaus. Unter ihnen das blaue Meer vor Tansanias Küste. Er möchte sich kneifen, ob es auch kein Traum ist. Wie die anderen an Bord, so auch Eberhart Markloff und Uwe Hohmuth, ist er ein gestandener Familienvater um die 50. Über 7000 Kilometer saß er bereits am Steuerknüppel. Und nun das. Fast zehn Tage sind sie jetzt unterwegs mit ihrem nostalgischen Doppeldecker, Baujahr 1957, seit sie in Gohlis bei Riesa starteten. Immer der alten Postfliegerroute zum Kap nach, über 17 Ländergrenzen hinweg, 12000 Kilometer südwärts. Nicolai, der bei Döbeln eine Fahrzeugtechnikfirma betreibt, erfüllt sich damit einen Jugendtraum. So hatte er die anderen drei zu dem gewagten Trip überredet. Von Tansania geht es weiter nach Lilongwe in Malawi. Wenn er nicht selbst fliegt, sitzt Franke am Funkgerät. Denn es zeigt sich, er ist ein Sprachtalent. Noch dem letzten mit Englischfloskeln durchsetzten Stammesdialekt entlockt er Zusammenhänge. Kein Airport tief im Busch, wo er sie so nicht richtig anmeldet. Abends bei afrikanischem Bier in einem bescheidenen Hotel dreht sich das Gespräch noch einmal um den Flug über die Sahara. Ein Sandsturm bald nach dem Start in Assuan zwang sie nicht nur in 2500 Meter Höhe, er machte den Törn auch zu einem Blindflug. Wohin das Auge blickte, nur gelber Griesel. Doch kein Autopilot lenkt eine AN 2, kein Bordcomputer navigiert sie, kein Radar erkennt rechtzeitig Gefahr. Die 9-Zylinder-Maschine wird per Hand und Auge gesteuert. Als sie nach über acht Stunden schweißgebadet - auch wegen der 50 Grad im Cockpit - im sudanesischen Khartum niedergingen, hatte Nicolai endgültig das Vertrauen zu dem Luftgefährt gefunden, auf dem bis 1989 NVA-Piloten ausgebildet wurden. Er, der in Schwaben aufwuchs, ehe er 1991 in die sächsische Familienheimat zurückkehrte, kannte Cessnas und Pipers. Und er wusste um deren Anfälligkeit in Extremsituationen. Doch die in Polen nach sowjetischer Lizenz gebaute Antonow lief. Mit 160 km/h und 1000 luftgekühlten Pferdestärken trotzte sie Nordafrikas sandverhangenem Himmel. Nun traut er der alten »Anna« quasi alles zu. Doch auch manch böse Vorahnung tritt ein, vor allem um den oft schon bezahlten bleihaltigen 100-Oktan-Treibstoff aufzutreiben. Immerhin schluckt die alte Dame stündlich bis 200 Liter. So hatte Bordmechaniker »Maxl« Markloff für den Afrikatrip noch einen Zusatztank eingebaut. Doch Afrika ist halt anders. In Assuan werden sie um ein Viertel der bestellten Menge betrogen, in Khartum scheitert das darum nötige Nachtanken fast an Borniertheit: Da nur die vorgeorderte Menge Flugbenzin da ist, besorgen sie sich zwar Fässer hochoktanigen Autosprits, dürfen diese jedoch nicht aufs Flugplatzgelände bringen. Erst als sie doch noch echtes Flugbenzin auftreiben, kann plötzlich der gesamte Treibstoff zur Startbahn rollen. Und bürokratische Hürden nicht nur hier. Kaum ein Tag, da sie morgens pünktlich wegkommen. Mal gibt es Probleme mit Visa, mal mit dem Zoll, mal will alle Welt nur ihre urige Maschine von innen betasten. So gleicht jeder Tag einem Kampf gegen die Uhr. Denn sie haben keine Wahl, als im Hellen das nächste Ziel zu erreichen, wollen sie nicht irgendwo in Dschungel oder Savanne campieren. Einmal wird es jedoch schon am Tag dunkel. Unweit des Kilimandscharo geraten sie in ein tropisches Unwetter. Keine 100 Meter vorm Bug zucken Blitze, Hagel peitscht den Rumpf. Sie versuchten, unter den Wolken zu bleiben, müssen aber dann doch hoch, um nicht an den immer wieder aus der dichten Suppe auftauchenden Bergen zu zerschellen. Aber der Vogel will und will nicht steigen. Nicolai bekommt das erste Mal richtige Angst. Das hat er noch nicht erlebt. Warum steigt die Maschine nicht?! Drückt sie der Hagel runter? Mühsam hangelt er sich von einem hellen Loch im Wolkendickicht zum anderen. Nur nicht zu weit an die dunklen Wolken heranfliegen, hämmert es in seinem Kopf, es könnte das Flugzeug zerbrechen. Es wird seine härteste Stunde im Cockpit. Doch von Gert, Maxl und Uwe kommt kein dummes Wort. Für alle war klar: Wer gerade vorn links im Cockpit sitzt, hat das Sagen. Er und nur er. Die anderen vertrauen ihm, verkneifen sich jede Besserwisserei. Genau das macht sie stark. So schaffen sie die Strecke am Ende schneller als erwartet. Nach zwei Wochen, 19 Starts und Landungen sowie 66 Stunden und 15 Minuten Gesamtflugzeit setzen sie auf der Graspiste der Nyala Lodge im Nordosten Südafrikas auf. Hier ist Nicolais Frau zu Hause, so soll hier auch die Antonow ihr weiteres Dasein fristen. Neues Domizil ist der Flugklub UT-Air, eine Außenstelle des »German Historic Flight Clubs«. Künftig wird »Anna« von Touristen geflogen und auch anderen Piloten zur Verfügung stehen, die selbst einmal über südafrikanischem Busch erfahren wollen, was Fliegen einst ausmachte, verrät Nicolai. Als Entwicklungshelfer baut er derzeit mit sächsischen und schwäbischen Partnern in Vaalwater auch eine Berufsschule für junge Farmarbeiter auf. Uwe Hohmuth, der vierte Mann an Bord und daheim Produktionsleiter, leitet bis Weihnachten die Arbeiten vor Ort. Ob er solch eine Tour noch einmal machen würde? Wolfram Nicolai überlegt nicht lange: »Nein!«. Er sei sehr froh, dass es so gut ausging. »Ich glaube, wir haben nicht geahnt, in welche Grenzsituationen wir kommen würden«, räumt er leise ein.

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