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  • Kultur
  • 12bändige Kisch-Ausgabe mit bisher unveröffentlichten Werken

Jung-Egon und sein „Blütenzweig“

  • Lesedauer: 4 Min.

„Das Pantheon des Schrifttums“ - so lautet eine Abhandlung aus der Feder von Egon Erwin Kisch. Er hat sie vor Ort geschrieben, im Raum des Autorenkatalogs der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden: „In diesem Raum ist der Ruhm der Welt und das Bemühen um den Ruhm alpabetisch eingerichtet, jede gro-ße publizistische Geltendmachung einer Idee, fast jedes Buch, fast jede Schrift, die irgendwo und irgendwann erschien.“

In dieses Pantheon gehört, wenn es mit rechten Dingen zugeht, nun aucji Band 12 der Kisch'schen Gesammelten Werke. Titel: „Der freche Franz - Vom Blütenzweig der Jugend - Nachgelassenes und Verstreutes“. Arbeiten unterschiedlichen Genres aus mehreren Jahrzehnten sind darin zusammengefaßt: Gedichte, Geschichten, Tagebuchaufzeichnungen, Anekdoten, Reportagen, Theaterstücke, Artikel, Zeitungsberichte, Interviews. Sie stammen entweder

aus dem bislang unveröffentlichten Nachlaß oder werden nun viele Jahrzehnte nach dem Erstdruck - in Buchform beziehungsweise auf den Seiten der Prager „Bohemia“, der Ullstein-Zeitung „Berliner Montagspost“ und anderer Blätter - erstmalig wieder veröffentlicht. Die zusätzliche Auswahl von Texten, die laut Nachwort „nicht gezeichnet sind und aller Wahrscheinlichkeit nach von Kisch stammen“, ist, wenn auch bezüglich Authentizität in Einzelfällen möglicherweise fragwürdig, dennoch aufschlußreich.

Am Anfang steht die Gedichtsammlung „Vom Blütenzweig der Jugend“, die auf Mutter Kischs Kosten 1905 gedruckt worden ist. Kisch hat sich bekanntlich später von seiner Dichterei distanziert und in einer Widmung für seine Übersetzerin Jarmila Haasova-Necasova von einem „Quatschbuch“ gesprochen. Aber es war sein erstes Büchlein. Es gehört zum Lebenslauf und Werk des Mannes,

Von KLAUS HAUPT

Egon Erwin Kisch: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Herausgegeben von Bodo Uhse und Gisela Kisch. Fortgeführt von Fritz Hofmann und Josef Poläcek. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 12 Bände in Kassette, Leinen, 480 DM. Auch einzeln lieferbar

der als Schöpfer der modernen literarischen Reportage, als „Rasender Reporter“ in die Annalen des Journalismus und der Literatur eingegangen ist. Und so ist es begrüßenswert, daß diese schöne „Jugendsünde“, die überdies einen starken Einfluß von Heinrich Heine auf Jung-Egon offenbart, in die Gesammelten Werke aufgenommen wurde, obwohl es von Bodo Uhse und Gisela Kisch nicht so konzipiert worden ist. Ebenso verhält es sich mit den fünf Notizbüchlein aus den Jahren 1903-1906, deren Eintragungen manches über den jungen Kisch verraten.

Kisch-Kenner, die sich für Details in der Arbeitsweise des Meisters interessieren, finden eine Fülle ergänzendes, zu Vergleichen einladendes Material. Darunter Erstfassungen oder Neubearbeitungen von Reportagen, Kriminalfällen und Theaterstücken, die längst legendär und Klassiker sind. Die Stichworte laden ein zu Assoziationen: Der Brand der Schittkauer Mühlen;. der Selbstmord des Generalstabschef Redl; die Himmelfahrt der Galgentoni. Auch die eingangs zitierte Pantheon-Abhandlung ist bearbeitet. Es handelt sich um die Fassung für die „Berliner Montagspost“ (1927), während das erste Manuskript bereits 1923 in der Prager „Lidove noviny“ veröffentlicht wurde - zu der Zeit, als Kisch in der Staatsbibliothek an seinem Sammelwerk „Klassischer Journalismus“ arbeitete.

Den Abschluß des Bandes bildet ein Thema, für das Kisch, wo immer möglich, recherchierte: Geschiente und Lage der Juden; in diesem Fal-

le m Australien. Drei für „Landung in Australien“ nicht verwendete Kapitel über den Selbstmörderfelsen Gap, das australische Adjektiv (bloody) und das goldene Vlies (Geschichte des Geschäfts mit Schafen) gehören zu den Glanzstücken aus dem Nachlaß.

Also, Kisch komplett? Ursprünglich galt die 1960 begonnene Edition mit Band X (darunter ein Doppelband) zum 100. Geburtstag von Kisch im Jahre 1985 als beendet. Nun, mit der seit dem vergangenen Jahr herausgegebenen, gleichfalls bestens betreuten Neuausgabe, ist Kischs literarischer Nachlaß wohl endgültig ausgeschöpft, Vertrautes von Bedeutung aufgefunden. Alles gedruckt, Ende der Edition. Kompliment für Herausgeber und Verlag. Dennoch, der Meister war für jede Überraschung gut. Noch gibt es von ihm unveröffentlichte Briefe und Postkarten aus aller Welt. Also: Kisch fast komplett.

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