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Weder Kopftuch noch Kreuz noch Kippa

Gesetz gegen religiöse Symbole an Schulen geplant

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Präsident Jacques Chirac hat im »Kopftuchstreit« ein Machtwort gesprochen. Vor 400 Vertretern aller Religionen kündigte er ein Verbot »deutlich sichtbarer« religiöser Zeichen und Kleidungsstücke an den öffentlichen Schulen an.
Chirac will den langwierigen Streit beenden, der sich an den immer öfter in den Schulen auftauchenden Kopftüchern muslimischer Schülerinnen entzündete. Seit zehn Jahren galt die Regelung, dass solche Fälle von den Schuldirektoren durch Überzeugung geregelt werden und möglichst nicht zum Schulverweis führen sollten. Doch das Problem wuchs den Schulbehörden über den Kopf. Bei Schuljahresbeginn im vergangenen September tauchten nach offiziellen Angaben 1256 Mädchen mit Kopftuch auf - nach Schätzungen der Gewerkschaften waren es mindestens doppelt so viele. Laut Bildungsministerium blieben 20 Streitfälle ungelöst, sechs Mädchen wurden schließlich der Schule verwiesen. Ab 1. September 2004 soll ein Gesetz klarstellen: Verboten sind im Unterricht nicht nur Kopftücher, sondern auch offen getragene Kreuze und die jüdische Kippa. »Diskrete« kleine Kreuze und Davidsterne oder die islamische Hand der Fatima sollen toleriert werden. Chirac hält es für »nicht hinnehmbar«, dass »unter dem Deckmantel der religiösen Freiheit« die Gesetze und Prinzipien der laizistischen Republik unterlaufen werden. Seit 1905 sind Staat und Kirche in Frankreich gesetzlich streng getrennt. Der Staat muss sich in Bekenntnisfragen streng neutral verhalten. Chirac geht es nicht zuletzt auch um die Würde der Frau. Den Vorschlag der seiner Expertengruppe, im Zeichen der Gleichbehandlung künftig neben den kirchlichen Feiertagen auch den jüdischen Feiertag Jom Kippur und das muslimische Eid-Fest zu schulfreien Tagen zu erklären, wischte Chirac allerdings vom Tisch. Dagegen hatte die katholische Kirche protestiert, zumal die Regierung gerade erst den Pfingstmontag als gesetzlichen Feiertag abgeschafft hat. Selbst wenn sich das neue Gesetz gegen die Zeichen aller Religionen wendet, betrifft es doch vor allem die Muslime. Von reichlich 60 Millionen Franzosen hängen rund fünf Millionen - mehr als in jedem anderen Land Europas - dem muslimischen Glauben an, auch wenn viele ihn nicht aktiv ausüben. Sie alle, so befürchtet der erst vor Monaten gebildete Islamrat, könnten das neue Kopftuch-Gesetz als ausgrenzend empfinden. Um den Kritikern einer juristischen Lösung den Wind aus den Segeln zu nehmen, räumt Chirac ein, dass ein energischer Kampf gegen alle Formen der Diskriminierung erforderlich ist. Er wisse um die Empörung Jugendlicher, die wegen ihres arabischen Namens keine Arbeit bekämen oder als Mieter abgelehnt würden. Dadurch würde der Graben zwischen den sozialen Brennpunkten in den Vorstädten und dem Rest des Landes immer tiefer. Von Bewohnern menschenunwürdiger Gettos, in denen nur das Recht des Stärkeren gelte, könne niemand erwarten, dass sie sich als Teil der französischen Nation verstehen. Mit einer neuen Integrationspolitik wolle die Republik Chancengleichheit durchsetzen. Mit seinem Gesetz weiß sich Chirac mit der Mehrheit der Franzosen einig. In Umfragen sprachen sich rund 60 Prozent dafür aus. Für eine gesetzliche Regelung plädierten nicht nur die Regierungspartei UMP, sondern auch die oppositionellen Sozialisten und die Führung der FKP, während Teile der kommunistischen Basis dem Gesetz ebenso ablehnend gegenüberstehen wie die Grünen sowie einige Lehrergewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen. Sie lehnen »jegliche Stigmatisierung« ab und argumentieren, dass ein gesetzliches Verbot die persönliche Freiheit einschränkt und harmlose Provokationen von Jugendlichen »kriminalisiert«. Dem halten die Verfechter des Gesetzes entgegen, dass islamische Extremisten durch die Kopftücher »die Republik herausfordern und testen, wie weit sie heute schon gehen können«.

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