Weniger Aussiedler, dafür mehr Probleme

Regierungsbeauftragter Jochen Welt setzt Hoffnung in Zuwanderungsgesetz

2,5 Millionen Menschen sind seit den Systemumbrüchen vor rund einem Jahrzehnt als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Ihre Zahl nimmt inzwischen rapide ab, die Probleme ihrer Integration nehmen zu.

Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Jochen Welt (SPD), spricht von Fehlentwicklungen, die »dringend korrigiert« werden müssten. Bei seiner Jahrespressekonferenz am Dienstag in Berlin machte er zugleich deutlich, dass Umsiedlung ein Auslaufproblem ist. Mit gut 72000 nahm die Zahl der Ankömmlinge seit 2002 um rund 20 Prozent ab. Die Zahl der Antragsteller in den Heimatländern sank gar um rund 32 Prozent - von 66833 auf rund 46000.
Jochen Welt führt diese Entwicklung auf den natürlichen Schwund der Berechtigten, aber auch auf die Erfolge der Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zurück, mit der nicht mehr wie zu Zeiten der christlich-liberalen Koalition in »Leuchttürme« der regionalen Wirtschaft, sondern in die »Köpfe und Herzen« der Menschen investiert werde. Hohe Summen seien Jahre lang im Sande versickert, während die Gelder heute breit gestreut und für Begegnungsstätten- und Jugendarbeit, für Berufsqualifizierung, Sprachförderung und Kreditgewährung eingesetzt würden. Dies habe zu einer »Stärkung des Bleibewillens« der Deutschstämmigen in den Herkunftsländern geführt. Dass der geschicktere Einsatz von Geldern ihre Reduzierung um beinahe die Hälfte kompensiert, das glaubt Jochen Welt mit der sinkenden Zahl der Antragsteller belegen zu können.
Doch zweifellos ist dafür auch strengere Aussortierung bei der Aufnahme nach Deutschland verantwortlich. Jochen Welt verteidigt diese. Habe der Anteil der durch Abstammung Berechtigten 1993 noch 74 Prozent betragen, also der Anteil der Familienangehörigen ohne eigene Berechtigung nur ein Viertel betragen, sei das Verhältnis inzwischen völlig umgekippt. Gerade noch 20 Prozent der Ankömmlinge hätten eine eigene Berechtigung nach dem Bundesvertriebenengesetz, 80 Prozent also seien Familienangehörige. Unter denen in der Regel niemand Deutsch verstehe.
Dort finden sich auch die Gruppen der »sozial auffälligen« Aussiedler, von denen Welt spricht. Gerade unter jugendlichen Aussiedlern hätten sich die Integrationsprobleme in letzter Zeit verschärft, habe die Kriminalität zugenommen, sei eine überdurchschnittliche Anfälligkeit für Drogen zu beobachten. Durchaus verständnisvoll erläutert der Aussiedlerbeauftragte die Konfliktsituation vieler Jugendlicher. Oft gegen ihren Willen mit den Eltern umgesiedelt, hätten sie Freunde, überschaubare Lebensperspektiven und Gewohnheiten preisgeben müssen. Doppelt sprachlos - ohne Deutschkenntnisse und überfordert von der neuen Lebensumwelt - suchten sich vor allem pubertierende Jungen die fehlenden Erfolgserlebnisse in Gruppen von Gleichaltrigen, in denen andere als soziale Normen gelten.
Eine Art Immunspritze sieht Welt daher in den Fördermaßnahmen der Bundesregierung für sportliche Aktivitäten jugendlicher Aussiedler. Dort gebe es Gemeinschaft, Erfolgserlebnisse und die Möglichkeit, Aggressionen zu bezwingen. Beim Einsatz von Mitteln für die Integration der Aussiedler in Deutschland kann die Bundesregierung immerhin auf bescheiden, aber stetig wachsende Summen verweisen. Seit 1997 hat sich deren Umfang von 24,10 Millionen Mark (12,30 Millionen Euro) auf 29 Millionen Euro (56,71 Millionen Mark) erhöht.
Vor allem glaubt Jochen Welt an die Macht des Integrationswerkzeugs Sprache. Im Zuwanderungsgesetz sind hier Auflagen schon im Heimatland vorgesehen. Ehegatten, Kinder und Enkel von Deutschstämmigen müssen vor der Ausreise einen Sprachtest bestehen. Die Unionsopposition habe mit ihrer Blockierung des Zuwanderungsgesetzes somit in Kauf genommen, dass junge Aussiedler auf die schiefe Bahn geraten könnten. Der Idee eines Journalisten, die Kinder ankommender Familien in Deutschland zu internieren und die Sprache pauken zu lassen, will Welt gleichwohl nicht ohne weiteres folgen.

Zahlen & Fakten
Im ablaufenden Jahr wurden 72627 Menschen als »Spätaussiedler« in Deutschland aufgenommen, im Vorjahr waren es noch 91416, im Jahr 2000 waren es noch 95615 Menschen.
Anträge in den Herkunftsländern stellten 2003 noch 46048 Menschen, gegenüber 66833 im Jahr 2002 und 106895 im Jahr 2000. Die Bearbeitungszeit dauerte damals (2000) rund sechs Jahre, heute brauchen die Behörden noch vier.
Von den Antragstellern erweisen sich zwischen 50 und 55 Prozent als Antragsberechtigte.
Bei der Altersstruktur gibt es nur geringe Schwankungen: Im Jahr 1990 waren reichlich 28 Prozent im Alter bis zu 17 Jahren, knapp 66Prozent zwischen 18 und 54 Jahren. Im ablaufenden Jahr stehen reichlich 27 Prozent bis 17-Jährigen knapp 66Prozent bis 64-Jährige gegenüber.
Als Hilfsmittel für Deutschstämmige in den Herkunftsländern zahlte Deutschland 1992 200 Millionen DM, ...

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