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  • Kultur
  • „Totes Gleis“, ein Fernsehspiel in der Reihe „Polizeiruf 110“ (ARD)

Gegen den Strich gebürstet

  • Peter Hof
  • Lesedauer: 3 Min.

Für ausgemachte „Polizeirur-Freunde dürfte „Totes Gleis“ eine herbe Überraschung gewesen sein: die ostdeutsche Krimi-Traditionsreihe diesmal als Clownsspiel - ja, darf man denn sowas? Bernd Böhlich, der vor einigen Wochen eine „Polizeiruf-Folge vorgelegt hatte, die durch ihre gründliche Sozialanalyse bestach („Arme Schweine“), bürstet hier die gängigen Krimiklischees gegen den Strich. Er rangiert, um in der Fachterminologie zu bleiben, den Fall auf ein Nebengleis.

Nur wenige Minuten am Filmbeginn durfte ich meine Sorge hegen, auch Böhlich wolle auf der Konjunkturwelle der „Russen-Mafia“ schwimmen, von der sich immer mehr Fernsehkrimis tragen lassen. Doch als der Kronzeuge mit viel Polizeitroß zum Prozeß gegen die Mafiosi nicht etwa das Landgericht, sondern das Filmmuseum der brandenburgischen Provinzmetropole ansteuerte, waren die Weichen gestellt. Ab

jetzt wurden die Versatzstücke der Kriminalfilmgeschichte aus dem Erinnerungsfundus gekramt und an die Strecke gestellt, die diese Geschichte durchlaufen sollte.

Da finden zwei Streckenläufer (Otto Sander und Ben Bekker) einen Koffer voll Geld am Bahndamm. Ein französischer Honorarkiller, der vorher den Kronzeugen mit gezieltem Schuß vom Leben zum Tode befördert hatte, entledigt sich auf der Flucht seines Mordlohnes und verbirgt sich anschließend im Heimatbahnhof der beiden unehrlichen Finder, die eine unruhige Nacht mit der vielen Kohle in der Hauptstadt zu bestehen hatten und unter anderem einen diebischen Zuhälter erheblich beschädigten und im Kofferraum seines eigenen Autos auf dem Parkplatz abstellten. Das bringt die Potsdamer Kommissarin Tanja Voigt (Katrin Saß) auf die Spur der Möchtegern-Lebemänner, und ganz nebenbei löst sie noch den Fall, den

ihr Westchef ihr eben abgenommen hatte.

Nein, das ist nicht die Hauptstrecke gegenwärtiger krimineller Aktivität, solche Geschichten schreibt nicht „das Leben“, die können in der Tat nur im Kino bestehen. Das ist das „tote Gleis“ der Genrekonvention, auf dem Böhlich „Räuber und Gendarm“ spielen läßt, ohne Gefahr für Leben und Gesundheit der netten Hauptpersonen. Der tote Kronzeuge am Filmbeginn weckte nicht allzu viele Sympathien, um ihn tut es den Zuschauer nicht leid. Der französische Killer schien einem Typenkatalog für Bösewichte entnommen, und alle anderen waren wieder einmal- „arme Schweine“, die der Filmschöpfer am Ende mit einem Happy-End in der Südsee für ihr bisheriges tristes Leben entschädigt. Ob sie dort jemals hinkommen, ist fraglich, denn weiter als bis Alt-Globsow begleiten wir sie nicht.

Böhlich hatte für die Hauptrollen eine Idealbesetzung. Otto Sander und sein Pflegesohn Ben Becker (Schwesterchen Meret singt in der Hotelbar wunderschön schwüle Lieder) sind ein tolles Paar märkische Landeier mit einer auch im einig Vaterland noch immer ungestillten Sehnsucht nach der großen, weiten Welt der Werbung im Herzen. - Ob sich die Ironie des Films freilich für das Sonntagabend-Krimipublikum des Ersten erschlossen hat, schien mir fraglich. Da sind die Klischees wahrscheinlich

schon so tief verinnerlicht, daß es kaum noch einen individuellen kritischen Zugang zu ihnen gibt.

Ich hatte mein Vergnügen an diesem Film (wenn ich mir den Rhythmus auch bisweilen etwas drängender und zügiger gewünscht hätte). Wer sich ihm aber als einem „seriösen“ Krimi nähert, dürfte das Nachsehen haben.

PETER HOFF

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