Schleichender Terror
Leserbrief zu zwei ND-Beiträgen
Zu den Beiträgen „Noch kein Ende der Entlassungswelle“ und „Lachen wir zu wenig über die DDR?“ (ND vom 2. Juni, Seiten 3 und 5):
Herr Dammann stellt die Frage.- „Wie aber fühlen sich die Menschen, die durch Abwicklung, Warteschleife, durch Ausspruch von fristlosen und fristgemäßen Kündigungen arbeitslos geworden sind?“ Man muß aber nicht nur fragen, wie sie sich fiihlen, sondern vor allem, wie es ihnen geht und welche Perspektive sie haben!
Auf die Bundesrepublik rollt mit der Generation der Abgewickelten, Gekündigten, heute etwa 50jährigen eine Armutswelle ungeheuren Ausmaßes zu, wenn deren Rente nur nach dem berechnet wird, was sie in der DDR real einzahlen konnten. Ist das etwa gerecht und sozial angemessen, nur weil man den größten Teil seines Lebens in der DDR gelebt und gearbeitet hat?
In dem rechtsfreien Raum über die Wendejahre war es sehr leicht, Menschen zuerst zu verleumden und dann auszusondern. Es gab nichts, womit sie sich hätten wehren können: Äußerer Druck entstand durch Vorgaben zum Stellenabbau und interner durch die Angst, an den sozialen Rand, in die Existenznot gedrängt zu werden, auch durch die Gier,
an die Fleischtöpfe zu kommen.
Und da äußert Lothar Bisky sein Bedauern, daß die Bereitschaft, über eigene Verwicklungen zu reden, in der PDS leider zu gering ist? Sie war m.E. einmal sehr viel stärker als heute vorhanden, hat aber folgerichtig abgenommen. Denn jeder, der es an der „Basis“ - ohne Hysterie und ohne sich auf die Seite der materiellen Wendegewinnler zu schlagen - versucht hat, wurde erbarmungslos von seiner Arbeitsstelle entfernt. Und nur wenige haben dagegen den Mund aufgemacht, die meisten hatten Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Der schleichende Terror (um mal ein Thierse-Wort zu gebrauchen, das er selbstverständlich aber nur auf die DDR bezogen wissen will) war und ist ein ungeheurer.
Wenn die PDS nicht langsam anfängt, sich auch für die Wendeopfer gegen ein Vereinigungsunrecht einzusetzen, das man wegen seiner sozialen Folgen auch Vereinigungskriminalität nennen könnte, und zwar auch für die, die schon in der DDR nicht so sehr angepaßt und nicht still waren, dann wird die PDS zu einer Partei von Schweigern, Angepaßten, Hoffähigen - von Opportunisten. Dies sehe ich im Moment als reale Gefahr
Henrike Dietze, Leipzig
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