Tödlicher Rassismus in Spanien
Hohe Haftstrafe für Mord an dominikanischer Immigrantin
Von REINER WANDLER, Madrid
Zu insgesamt 126 Jahren Gefängnis verurteilte das Madrider Provinzgericht den 26jährigen Polizisten der Guardia Civil Luis Merino und drei weitere Angeklagte wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord an der dominikanischen Immigrantin Lucrecia Perez. Mit diesem überraschend hohen Urteil endete ein wochenlanger Prozeß, in dessen Verlauf die Tat minutiös rekonstruiert wurde.
Die vier Verurteilten wollten am 13. November 1992, eine Woche vor dem Todestag von Diktator Franco, „ein Exempel statuieren“ Sie drangen in die leerstehende Diskothek „Four Roses“ in einem Vorort der Hauptstadt ein. Das Gebäude diente seit längerem einer Gruppe von dominikanischen Immigranten als Domizil. Die Vermummten eröffneten sofort mit einer Pistole das Feuer auf die Anwesenden. Lucrecia Perez wurde tödlich getroffen, ein weitere Bewohner schwer verletzt. Bereits kurz darauf wurden die Täter verhaftet.
Das Gericht kam jetzt zu dem Schluß, daß Luis Merino die tödliche Schüsse abgab. Als Tatwaffe diente ihm sein Dienstrevolver der Guardia Civil. Er wurde zu 54 Jahren Haft verurteilt, die anderen drei noch jugendlichen Tatbeteiligten zu jeweils 24 Jahren. Außerdem sprach das Gericht der neunjährigen Tochter von
Lucrecia Perez eine Entschädigung von umgerechnet 250 000 Mark zu.
Der Versuch der Verteidigung, die Tat der starken Trunkenheit ihrer Mandanten zuzuschreiben und damit die Strafe zu verringern, ist fehlgeschlagen. Das Gericht würdigte in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich die politischen Tathintergründe. „Alle Angeklagten waren aufgrund ihrer rassistischen und ausländerfeindlichen Haltung mit der Tat einverstanden“, so der Vorsitzende Richter. Die Verurteilten stammen aus einem Club der rechtsradikalen Fanszene von Real Madrid, der wegen ihrer Brutalität bekannten Gruppe „Ultra Sur“
Man sparte auch nicht mit Kritik an den Vorgesetzten von Luis Merino. Bereits vor der Nacht des 13. November wurden gegen ihn zwei Disziplinarverfahren verhängt. Dies, so das Gericht, zeige eindeutig,
daß er nicht für den Polizeiberuf geeignet war. „Das beweist fehlende Überwachung des Beamten, der die ihm ausgehändigte Waffe nutzte, um Unrecht zu begehen, anstatt das Recht zu schützen. Der Staat steht in der Verantwortung.“
Lucrecia Perez ist für viele ein Symbol für den aufkeimenden Rassismus in Spanien. Die Öffentlichkeit reagierte mit Entsetzen. Man befürchtete nach der Tat eine Entwicklung ähnlich wie in Deutschland. Nur wenige Tage nach den Schüssen gingen in Madrid 20 000 auf die Straße, unter ihnen die Politprominenz der Hauptstadt. Auf der Demonstration wurde ein Satz geprägt, der seitdem in keinem Artikel und keiner Rede zum Thema fehlt: „Spanien ist vom Land der Emigranten zum Aufnahmeland geworden.“ Man stehe aufgrund der eigenen Geschichte in einer besonderen Verantwortung.
Um den Rassismus zu bekämpfen, verlangen verschiedene Gruppen und Parteien anläßlich des Prozesses einmal mehr eine Änderung des Strafgesetzbuches. Ausländerfeindliches Verhalten, so der Fraktionssprecher der Vereinigten Linken, Diego Lopez, soll künftig als Straftatbestand gelten.
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