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Schnelle Urteile im Himmelfahrtsprozeß

Magdeburg: Schöffe wollte in Urlaub fahren

  • Lesedauer: 3 Min.

Von JURI WEBER

Ein Zeichen wollte die Richte- ? rin setzen, daß Gewalt gegen Ausländer auch in diesem Land nicht ungesühnt bleibt. Dementsprechend hoch waren die Strafen gegen drei Jugendliche, die in einem ersten Prozeß gegen Beteiligte an den Himmelfahrtspogromen verhängt wurden. Das Magdeburger Amtsgericht befand den 19jährigen Stephan W., den 20jährigen Marco D sowie den gleichaltrigen Steve A. - Anhänger der Magdeburger Hooliganszene, aber keine Rechtsradikalen - der gefährlichen Körperverletzung für schuldig. Sie erhielten zwei, drei und dreieinhalb Jahre Jugendhaft.

Am 12. Mai, so ermittelte das Jugendschöffengericht und stützte sich dabei auf das umfassende Geständnis eines ebenfalls mitbeteiligten, reuigen Jungen, war eine Gruppe von etwa 20 Hooligans gezielt zur Ausländerjagd ins Stadtzentrum gefahren. Zwei Wochen zuvor hatten sich Hooligans nach einem Fußballspiel von Ausländern provoziert gefühlt. Man beschloß Rache und einigte sich auf Himmelfahrt. Am Vormittag dieses Tages verpaßten sich die Jungherren im Sudenburger Tivoli mit reichlich Alkohol die richtige Dröhnung, bevor sie am frühen Nachmittag mit der Straßenbahn in die Stadt fuhren. Gezielt zum Ausländeraufklatschen, wie der geständige Hool, gegen den noch gesondert verhandelt werden wird, aussagte. Man wollte in die Marietta-Bar und dort Streit mit Ausländern provozieren. Jeder, der in der Straßenbahn war, wußte das. Daß Randale geplant war, bestätigten weitere Zeugen, unter anderem der Verfassungsschutz.

Zurück zum Tattag. Am Zentralen Platz entdeckte einer der Menschenjäger einige

Schwarzafrikaner und rief: „Da sind welche!“ Daraufhin stürmte die Meute aus der Bahn und den flüchtenden Afrikanern hinterher. Die retteten sich in die Marietta-Bar. Mit in der Straßenbahn waren auch unsere drei, die sich später auf der Anklagebank reichlich Mühe gaben, ganz harmlos zu wirken. Stephan mit den blonden Locken, ein liebes Kind, aufgewachsen in einer harmonischen Familie. Marco,

der für,den erkrankten,Vater.. und die arbeitslose Mutter in die Rolle des Oberhaupts einerfünfköpfigen Familie schlüpfte. Und schließlich Steve, behütet aufgewachsener Bestschüler. Eben die freundlichen Jungs von nebenan.

Am Herrentag wurden sie anderem von einem Richter, einem Polizeibeamten und zwei Studenten gesehen, wie sie die Ausländer verfolgten und sich dann vor der Marietta-Bar sammelten. Viele Zeugen blieben ungehört - einer der Schöffen wollte in den Urlaub fahren. Richterin Evelyn Majstrak wollte vorher fertig werden, auch wenn bald abzusehen war, daß der Zeitplan mit vier geplanten Verhandlungstagen nicht einzuhalten war So blieb dann zumindest im Fall von Marco im dunkeln, was er überhaupt getan hatte, konkret konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Eigentlich nur, daß er dabei war. Was dem Gericht genügte, um gegen ihn eine zweijährige Haftstrafe ohne Bewährung zu verhängen. Mitgegangen, mitgefangen, begründete die Richterin sinngemäß; Marco warbereits wegen Diebstahls mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Hinter Stephan sollen sich für drei Jahre die Gefängnistüren schließen. Er wurde als einer der Anführer identifiziert.

Sowohl Marco als auch Stephan hatten die letzte Verhandlungswoche bereits in Haft verbracht. Nachdem die Haftbefehle nach Himmelfahrt außer Kraft gesetzt worden waren, überfielen die beiden vor einer Woche am Barleber See zwei Camper, raubten sie aus und schlugen sie zusammen. Einer der beiden Zelter mußte mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Wegen Flucht- und Wiederholungsgefahr wurden die Haftbefehle wieder in Vollzug gesetzt.

Die höchste Strafe, drei Jahre und sechs Monate, erhielt Steve. Im März war er wegen Raubs und schwerer Körperverletzung auf Bewährung verurteilt worden. Das Urteil von damals wurde mit einbezogen. Die Anwälte hielten das Strafmaß, das über die Anträge der Staatsanwaltschaft hinaus ging, für zu hoch. Das Gericht habe ein Exempel statuieren wollen. Sie legten Berufung ein.

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