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  • Kultur
  • „Mann über Bord“ - ARD-Reportage über einen Unfall, der lange Zeit für Selbstmord gehalten wurde und aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mord gewesen ist

Warum starb Robert Maxwell?

  • Holger Becke
  • Lesedauer: 4 Min.

Selten ist über den Tod eines Menschen so viel spekuliert worden wie über den des bri' tischen Medienzars Robert Maxwell, dessen Leiche am 5. November 1991 vor den Kanarischen Inseln aus dem Meer gefischt worden war, nachdem das Personal seiner Luxusjacht „Lady Ghishlaine“ das Verschwinden des Chefs stundenlang nicht bemerkt hatte. Die anfänglich in Umlauf gesetzten Versionen von einem Unfall oder Selbstmord des massigen Mannes mit der psychischen Konstitution eines Boxers wurden erschüttert, nachdem eine in Israel ausgeführte zweite Autopsie des dort später unter höchsten staatlichen Ehren Beigesetzten Hinweise auf erhebliche Verletzungen an, Kopf

und Körper geliefert hatte, die Maxwell nur vor der „Wässerung“ erlitten haben konnte. Doch wo liegt das Motiv für einen Mord?

Einen ziemlich breiten Lichtstrahl in das Dunkel haben jetzt Christina Wilkening und Monika Kauffeld mit ihrer Fernsehreportage „Mann über Bord“ gerichtet, die am Donnerstagabend in der ARD zu sehen war Mit bemerkenswerten Enthüllungen konnten sie aufwarten zu den Kontakten, die der ehemalige britische Geheimdienstoffizier Maxwell, der fast alle Familienangehörigen im Holocaust

verloren hatte, zum israelischen Mossad und zum sowjetischen KGB unterhielt. Als Zeugen präsentierten sie dabei mehrere ehemalige sowjetische Geheimdienstoffiziere und vor allem den Ex-KGB-Chef Krjutschkow, mit dem der Großverleger einige Male konferiert hat. Maxwell, so kam dabei heraus, war eine Zeitlang direkter Berater Gorbatschows und zum Schluß in eine finanzielle Operation größten Stils verwickelt, die man bis heute lieber vertuscht hätte. Als westliche Gläubiger in konzertierter Aktion bei der Gorbatschow-UdSSR ihre Forderungen eintrieben, sollte Maxwell

dafür sorgen, schnell Devisen zu beschaffen. Geplant war, jene Schulden, die andere Länder - darunter frühere „befreundete“ Staaten wie Äthiopien - bei der UdSSR hatten, an Dritte zu verkaufen. Und zwar mit einer saftigen Provision für Maxwell selbst, der an dem gesamten Deal über zwei Milliarden Dollar verdient hätte. Doch der nominelle Laboür-Mann verhedderte sich bei der komplizierten Operation so sehr, daß er in die Pensionskasse - seiner eigenen Angestellten griff und diese um umgerechnet über eine Milliarde DM erleichterte. Zugleich geriet er bei alledem offenbar

zwischen die Mühlsteine verschiedener Interessen.

Der ebenfalls interviewte Ex-Ministerpräsident der UdSSR Pawlow beschrieb das so: Maxwell sei es ergangen wie einem Weichenwärter, der mit dem Fuß in die Weiche gerät und dann vom Zug erfaßt wird. In diesem Fall könnten es auch zwei Züge gewesen sein, die ihn von beiden Seiten streiften. Wie auch Kjrutschkow gehört Pawlow zu den sog. Putschisten, gegen die in Moskau prozessiert wird. Dieser Personenkreis, so ließ sich aus der Reportage schließen, war in die 1990/1991 laufende Devisenbeschaffungsaktion zur einstweiligen finanziellen Rettung der UdSSR eingeweiht. Und es ist kaum denkbar, daß

der damalige Staatschef Gorbatschow, der heute im „Putschisten“-Prozeß als Zeuge aussagt, nichts davon wußte. Pawlow verwies auf eine Kette angeblicher Selbstmorde in diesem Zirkel, so den Tod des vormaligen lettischen KGB-Chefs und späteren sowjetischen Innenministers Pugo und den des Ex-Generalstabschefs und Gorbatschow-Beraters Achromejew

Das Imperium Maxwells, der nach der „Wende“ in der DDR bedeutende Anteile am Berliner Verlag und der ehemaligen Druckerei „Neues Deutschland“ erworben hatte, ist zusammengebrochen. Die Söhne des einstigen Tausendsassas erwartet in London wegen der Affäre mit der Pensionskasse

ein Prozeß. Untätig sind sie deswegen nicht. Der Film zeigte Fotos von einem Treffen der Maxwell-Junioren mit Mitarbeitern der „Nordex“-GmbH in Wien, eines Unternehmens, das auf Beschluß der Regierungen der UdSSR und Lettlands gegründet wurde, um angeblich die Privatisierungen in der UdSSR zu unterstützen -Stammkapital zwei Milliarden Dollar.

Obwohl notgedrungen manches im Spekulativen bleiben mußte, darf man die Autorinnen zu ihrem in der besten Sendezeit (20.15 Uhr) ausgestrahlten Film beglückwünschen. Sie hatten zum Teil ein fast unglaubliches Reporterglück.

, HOL GER BECKER

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