„Ich lasse mich nicht verbiegen“
Eine Zufallskette reicht bis zu Ursula Sillge, einer Frau, die unter DDR-Bedingungen und einvernehmlich mit dem Staat versucht, Diskriminierungen abzubauen. „Klubs der homosexuellen Werktätigen“ entstehen. Immerhin. Während der gemeinsamen Bittbesuche bei den Behörden hört Christina Schenk abfällige Bemerkungen über Lesben in der Kirche. Sie stellt ihre Antennen auf, landet unterm Kirchendach. Nicht aus weltanschaulichen, sondern aus charakterlichen und politischen Gründen. Anerkennung will sie nicht erbetteln, sondern erstreiten. „Es ging dort emanzipatorischer und DDR-kritischer zu“, erinnert sie sich. Unter staatlichem Dach gab's einen „riesigen Anpassungsdruck“, Unbotmäßigkeiten hätten das ganze Unternehmen gefährdet. Opportunismus war geboten - und Ergebnis. Und sie sagt ein Wort, das gut ihr Credo sein könnte: „Ich lasse mich nicht verbiegen.“
1985 münden „kirchliche“ und „staatliche“ Bemühungen in eine wissenschaftliche Tagung zu psychosozialen Aspekten der Homosexualität. In Jena wird ein Papier verabschiedet mit einem für die konservative Bundesrepublik schier unglaublichen Satz: „Homo- und Heterosexualität sind zwei gleichwertige Varianten menschlicher Sexualität.“
In die Wirren des Herbstes 1989, in die Aufbrüche und Ankünfte, geht die 37jährige mit „Lila Offensive“ Sie lebt auf, ist überglücklich, euphorisch. Unterdessen steht „Schenk“ wie ein Gütesiegel unter durchdachten, übersichtlich strukturierten Papieren, die von klarer, verständlicher Sprache sind.
Nicht ganz frei von Wehmut erinnert sie sich an den 3. Dezember 1989 in der Berliner Volksbühne. Mehr als tausend Frauen und Mädchen waren gekommen. Das offene Mikrofon stand unter einer Wäscheleine. Es ging fröhlich zu frisch, witzig, phantasievoll, polemisch. Kinder und Männer waren zugelassen. „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd“, so der Sinnspruch der Veranstaltung. Ironisch die Sentenz: 1. Männer sind klüger als Frauen. 2. die Erde ist eine Scheibe. Per Akklamation wird der Unabhängige Frauenverband (UFV) gegründet, und Christina Schenk wenig später
zu einer der drei Sprecherinnen gewählt.
Erst die Volkskammerwahlen 1990 holen die Frauen von Wolke sieben - mit dem Stammplatz an Runden Tischen, mit der Arbeitsgruppe „Gleichstellung“, mit Entwürfen für ein Gleichstellungsministerium - herunter. „Wir waren mit unseren Vorstellungen“, erinnert sich Christina Schenk, „für einen Moment in der Welt ganz weit vorn“ In den Abendstunden des 18.
März stirbt der Traum, die DDR aus feministischer Sicht mitgestalten zu können.
Was die Schenk & Co. an Visionen wollten, ging über das hinaus, was die DDR schon hatte. O-Ton Schenk. „Mit den Mitteln der Politik sollte die permanente Reproduktion patriarchaler Verhältnisse durchbrochen werden. Wenn es gelänge, die Hierarchien zu stürzen, würden Männer aus ihrer Karriereorientierung aussteigen, an Lebenqualität gewinnen. Mehr Erziehungsurlaub? Vor allem: obligatorisch geteilter Erziehungsurlaub...“
In der DDR waren nicht 50 Prozent der Frauen berufstätig, sondern 90 Prozent. „Berufstätigkeit, das war für uns ökonomische Selbständigkeit, ein zentraler Punkt der Eman-
zipation.“ Von den Kinderbetreuungseinrichtungen wie in der DDR gibt es in der Bundesrepublik höchsten zehn von hundert. BRD - das ist „Patriarchat einer ganz anderen Dimension“, so Christina Schenk. Hier gibt's kein Gremium, wo man gesamtgesellschaftliche Frage mit direkter politischer Wirkung diskutieren kann, sondern nur die „Konkurrenz von Lobbyinteressen“
Ins Parlament zog sie als UFV-Frau in der Bundestags-
gruppe Bündnis 90/Die Grünen ein. Im Unterschied zu der gleichfalls parteilosen Petra Bläss, der anderen UFV-Frau, in der PDS/LL-Gruppe. Schon aus den Vorfelddiskussionen mit den Bürgerbewegten hatte sie eine Ahnung, was sie erwartete. „Auch Leute, die stundenlang über Demokratie quatschten, behandelten die Frauenfrage als Minderheitenoder Randgruppenmätzchen, aber nicht als ein zentrales Demokratieproblem, wenn die Hälfte der Bevölkerung faktisch ausgegrenzt, diskriminiert ist.“ Hinzu kam, daß man den Frauen vor der Wahl unverblümt gesagt hatte, daß ihre Kandidatur auf den bündnisgrünen Listen mehr Stimmen kosten würde, als aus lila Quellen hinzukämen.
Hinter ihr liegt ein vierjähriger (Leidens-)Weg als Bundestagsabgeordnete, den sie dennoch „erfolgreich“ nennt. Erfolge sieht sie vor allem darin, daß Petra Bläss, sie und andere es geschafft haben, daß anders über ostdeutsche Frauen geredet wird als zu Beginn der Parlamentsperiode.
Die „geschwisterliche“ Liebe der UFV-Frauen zu den Grünen, schließlich waren in der alten Bundesrepublik die ersatzlose Abschaffung der
§§218 und 175 grüne Essentials, übertrug sich nicht auf die Bundestagsgruppe. Im Gegenteil. Sie war in nahezu jedem Punkt rettungslos zerstritten. Die Konfrontationen zwischen der Feministin Christina Schenk, der bürgerbewegten Ingrid Koppe, dem grünen Klaus-Dieter Feige und dem fünfköpfigen „Rest“, namentlich Vera Wollenberger, Konrad Weiß, Gerd Poppe und Werner Schulz, folgten mit der Regelmäßigkeit der sonntäglichen Andacht. Und sie liefen nicht nur auf politischer Ebene, sondern uferten in Demütigungen und ganz persönliche Verletzungen aus.
In dem Maße, wie ihre Gesetzentwürfe von der eigenen Gruppe blockiert werden oder sie nur mit einem Minderhei-
tenvotum passieren, sieht sie, wie in der anderen Bundestagsgruppe gearbeitet wird. Sie gesteht nicht erst jetzt, daß einige von der PDS eingebrachte Gesetzentwürfe genau das verkörpern, was sie unter konkreter, konstruktiver Oppositionspolitik versteht. Sie nennt die Forderung nach einer sozialen Grundsicherung für alle als Beispiel. Natürlich sei sie großzügig berechnet und die 150 Milliarden Mark, die dafür aufgebracht werden müßten, machten immerhin ein Drittel des Bundeshaushaltes aus. Nein, unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen hat dieser Vorschlag keine Chance, aber „es wäre doch kleingeistig, nicht drüber hinauszudenken“ Und so findet sie es völlig richtig, wenn im Zusammenhang mit Finanzierungsmöglichkeiten auf die Milliardensummen verwiesen wird, die durch Wirtschaftskriminalität, durch Steuerhinterziehung jährlich dem Lande verloren gehen. Wenn auf die
grundsätzlichen Macken des Systems verwiesen werde.
Nach den vier Jahren überrascht es doch viele, daß Christina Schenk wieder kandidiert. Und es fällt ihr nicht ganz leicht, es einleuchtend zu erklären. Natürlich möchte sie eine Jeanne d'Arc des Ostens sein, und natürlich haben viele sie bekniet, nicht zuletzt die UFV-Frauen. Schließlich finanziert sie auch deren liebevoll gestalteten „Weibblick“, das Informationsmagazin „von Frauen für Frauen“ mit. Eine Bundestagsabgeordnete hat viele logistische Vorteile.
Sie räumt aber ein, daß es ihr einfach Spaß macht, eine Parlamentarierin mit einem ganz anderen Politik(erinnen)verständnis zu sein. Keine Selbstdarstellerin, die Sprech-
blasen abläßt, die nur kluge Sätze sagen' kann, falls ihr nicht gerade der Wind die Zettel verweht hat. Eine Politikerin, die hundertprozentig verläßlich, ehrlich, integer ist. Ihre Augen funkeln schon wieder ein bißchen kampfeslustig warum denn nicht?
Als sie indes an besagtem Sonnabend, dem 23. April auf der Vollversammlung antritt, um sich auf die bündnisgrüne Landesliste wählen zu lassen, ist klar, daß sie allenfalls eine Außenseiterchance auf Platz drei hat. Wohl hat sich Sibyll Klotz, die UFV-Frau im Berliner Abgeordnetenhaus, für sie stark eingesetzt, wohl gibt es einen Unterstützerinnenbrief, der von prominenten Frauen unterschrieben ist, allein, die Fäden werden im Hintergrund gezogen. Journalisten bekommen Anrufe und sie erfahren die „Wahrheit über die Schenk Ein Highlight - so die eingangs genannte Erklärung - einer „bereits lange vor der Wahl begonnenen Denunziationskampagne bezüglich ihrer bisherigen Arbeit als Abgeordnete des UFV im Bundestag“
Zu einem Höhepunkt gestaltet sich schließlich der urplötzliche Auftritt des Bundestagsabgeordneten Werner Schulz. Er hält eine Schmährede sondersgleichen. Danach ist Christina Schenk nicht nur undiszipliniert und widerborstig, sondern auch ein Ausbund an Faulheit. Selbstredend habe sie nur Steckenpferde geritten und linkssektiererische und radikalfeministische Positionen vertreten...
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