Die letzten Tage des Butterschiffs
Mit der EU-Erweiterung am 1. Mai kommt das Ende zollfreien Einkaufs im Niemandsland zu Polen
Nach der Kasse geht der Stress erst richtig los
Nach dem Einkauf fängt der Stress für viele erst an. Zigarettenstangen müssen entkernt und Zigarettenschachteln irgendwo untergebracht werden, ebenso wie mit hochprozentigem Alkohol gefüllte Folienbeutel. Vorzugsweise wird das Schmuggelgut mit Klebestreifen auf nackter Haut getragen, weiß fast jeder deutsche Butterseemann über die Reisegewohnheiten der polnischen Nachbarn zu berichten. Körperschmuggel nennt das der Zoll. »Richtig professionell« bewertet das ein deutscher Passagier, der sich offenbar in einer kleinen familiären Manufaktur voller motivierter Mitarbeiter wähnt. Ein aufwändiges und ein bisschen illegales Geschäft, zumal der »Gewinn« pro Stange beispielsweise der ostdeutschen Traditionsmarke F6 gerade mal um die vier Euro betragen dürfte, wenn man die Preise auf dem Polenmarkt in Swinemünde zum Vergleich heranzieht.
Was aber der deutsche Staat dem Raucher hier zu Lande per Steuererhöhung quasi im Vorbeigehen aus der Tasche zieht, ist in Polen nicht unbedingt wenig Geld. Das Versiegen dieser Quelle mag für einige Polen zwar im Moment ein Grund sein, den EU-Beitritt am 1. Mai noch weniger gut zu finden, als ohnehin schon. In Neuwarp (Nove Warpno), einer anderen beliebten Anlegestelle deutscher Butterfahrer blickt man unterdessen schon wieder nach vorn. Denn hier am Stettiner Haff, wo zu Hochzeiten die Schiffe aus dem nahen Altwarp in Mecklenburg-Vorpommern im Halbstundentakt anlegten, laufen die Geschäfte auf dem Basar in Hafennähe schon lange nicht mehr.
Es ist Sonnabendmittag, und einer der beiden Händler packt seine Auslagen schon wieder ein. Danach gefragt, wo denn all seine Kollegen sind, stimmt er einen halbstündigen Monolog an: Die Medien sind schuld. Die Berichte darüber, dass Neuwarp ein Dorado für Wodkaschmuggler sei, haben viele Kunden und Händler abgeschreckt, die früher sogar von Gdansk bis in die nordwestlichste Ecke Polens gekommen seien. Die Stadt Neuwarp sei schuld: Niemand habe sich um die Belange der Händler gekümmert, ganz im Gegenteil, das Leben habe man ihnen schwer gemacht. Die in Warschau sind schuld: Seit vor zwei Jahren bestimmt wurde, dass selbst die etwa 400000 Stettiner in Neuwarp nur noch die kleine Zollration kaufen dürfen, lohne sich der Weg für die Oderstädter nicht mehr.
Preiswerten Alkohol gibt es für Kundige trotzdem noch immer. Fast jeder kenne jemanden, der etwas zu verkaufen hätte. Woher der kommt? Offenbar nicht aus Neuwarp, vermutet ein junger Stettiner. Den 26-Jährigen zieht es nicht mehr allzu oft hierher. Obwohl er sich gern der Zeiten erinnert, als er auf dem Stettiner Haff so manchen schönen Nachmittag verbrachte. Wozu es nicht viel mehr brauchte als schönes Wetter, ein paar Freunde und zollfreies Bier. Doch irgendwann hätten die Schmuggler mit ihrer Betriebsamkeit die Stimmung getrübt. Und heute ist der Verzehr von zollfreiem Alkohol an Bord sogar verboten. Darauf habe ihn eben der Kassierer im Shop extra hingewiesen. Aber gegen ein schnelles Dosenbier wird doch wohl keiner etwas haben? »Lieber nicht«, sagt er.
Im »Elephant« ist es erst einmal leer
Und was machen eigentlich die potenziellen deutschen Basar-Kunden? Die harren an Bord der »Adler Princess« rauchend der Öffnung des Ladens. Nicht wenige sehen aus, als hätten sie schon vor langer Zeit mit dem Rauchen aufhören sollen. Gurken und Bonbons locken sie heute nicht vom Schiff und auch nicht die deutsche Speisekarte im »Elephant«, nur ein paar hundert Meter weit vom Hafen.
Das Restaurant ist leer, aber das werde schon wieder anders, hoffen die Besitzer. Schließlich habe man erst vor wenigen Monaten kräftig investiert. Dass die Butterschiffe bald keine Deutschen mehr bringen, wird hier nicht geglaubt. Die momentane Flaute habe damit zu tun, dass die Deutschen in diesem Monat zwei statt einen Euro für die Überfahrt bezahlen müssten. Stimmt zwar nicht, also lieber noch mal fragen. »Nur in diesem Monat?«
Ja, nur in diesem Monat«, das erzähle man sich in Neuwarp, sagt die alte Dame des Hauses. In all den wenigen Jahren wurde tatsächlich genug Schabernack mit den Butterfahrern auf dem Haff getrieben. Einmal sogar haben sich Deutsche und Polen das Anlegen in ihren Häfen gegenseitig verboten.
Eine Reporterin des »Kurier Szczecinski« fasst die aktuelle Lage in Neuwarp präzise zusammen: »Schlimmer wird's nicht«. Aber immerhin weiß sie davon zu berichten, dass sich die Neuwarper Stadtväter nach der Butterschifffahrt einiges vom Tourismus versprechen und vielleicht in den kleinen Hafen investieren wollen. Logisch, wenn es nicht schlimmer kommen kann, dann muss es zwangsläufig besser werden. Der Tenor des Artikels: »Wir wissen nicht, was werden wird, aber wir werden sehen.«
Was auf der deutschen Seite, im Dorf Altwarp, dessen größter Arbeitgeber noch die Reederei ist, nach dem 1.Mai passieren wird, klingt konkreter - nicht besser. Noch ist alles beim Alten, doch von den in Spitzenzeiten gut einer Million Passagieren, die bisher pro Jahr an Bord der Butterschiffe gingen, wird vielleicht ein Viertel übrig bleiben, schätzt die Insel- und Halligreederei, unter deren Flagge die Adlerschiffe auf Ostsee und Haff laufen. Die Anzahl der Mitarbeiter werde sich voraussichtlich von derzeit über 80 auf etwa 20 reduzieren.
Im gesamten Bezirk der Industrie- und Handelskammer (IHK) Neubrandenburg würden durch den Wegfall des zollfreien Einkaufs 310 Arbeitsplätze auf den insgesamt 17 Schiffen der vier in der Region tätigen Reedereien verloren gehen. Was einem Abbau von 80 Prozent des Personals entsprechen würde, wie die IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Kuntze in einem Brief an Bundesfinanzminister Hans Eichel warnte. Doch abhängig von der Butterschifffahrt ist auch die Gemeinde Altwarp, die künftig weit weniger an Parkplatzgebühren einnehmen und somit etliche Projekte im Dorf auf Eis legen wird. Den Imbissbuden im Hafen, den Zulieferern und Schiffsausrüstern werden Kunden wegbleiben. Und die Busunternehmen werden weniger Butterschiffer an das Stettiner Haff zu bringen haben. Auch die Gastronomie am Haff blickt mit gemischten Gefühlen auf den 1.Mai. Es gibt Hotels, in denen die Butterfahrer bis zu 30 Prozent des Umsatzes ausmachen.
Übergangsfristen stehen nicht auf dem Plan
Was danach sein wird, ist nicht viel mehr als die Hoffnung darauf, dass die hohen Steuern und neue Reiseziele Ausflüge ans Haff weiterhin interessant machen. Einige neue Fahrpläne ab Mai gibt es zumindest schon. Dass es eine Übergangsfrist für die Butterschifffahrt geben wird, ist jedenfalls unwahrscheinlich. Angesichts der Interessenlage scheint der Vorwurf, der zollfreie Einkauf wurde bei den Beitrittsverhandlungen schlichtweg vergessen, beinahe naiv. Es gibt keine grenzüberschreitende Lobby, die in der Lage wäre, genug Druck auszuüben und eine Übergangsfrist herauszuschinden. Und weder Warschau noch Berlin oder Brüssel haben irgend ein Interesse an der Butterschifffahrt. Aus einem einfachen Grund: Als Staat kann man an ihr nicht viel verdienen. Ganz im Gegenteil. Dem deutschen zum Beispiel gehen pro Stange Zigaretten 20 Euro flöten.
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