Ein Verbrechen in Berlin hat nicht nur Erregung im Stadtteil Marzahn, sondern auch die Aktivitäten der Neonaziszene geweckt. Der Täter war ein Ausländer.
Boulevardpresse und Fernsehen haben ihn posthum zum »Helden von Marzahn« ernannt, zum leuchtenden Beispiel für Zivilcourage. Gegen halb eins am 20. März ist der 20-jährige Zweirad-Mechaniker Thomas Pötschke mit Freunden auf dem Weg zur Disco. Sie beobachten, wie ein Mann mit einer Steinschleuder die Scheiben von Autos auf dem Parkplatz am S-Bahnhof Marzahn zerstört. Splitter verletzen eine junge Frau, die in einem der Wagen sitzt. »Thomas wollte helfen«, sagen seine Freunde.
Als er den Randalierer erreicht, zückt dieser ein Messer und streckt Thomas Pötschke mit zehn Stichen nieder. Einer trifft das Herz tödlich. Der 32-jährige Dirk M., der dem Täter in den Arm fällt, wird lebensgefährlich verletzt. Eine Polizeistreife ergreift den Täter. Thomas Pötschke stirbt noch am Tatort.
Der Fall schlug Wellen in den Medien und in Marzahn. Der Täter Mehdi N. ist ein 24-jähriger Soziologiestudent aus Tunis, der vor zwei Jahren aus Heidelberg nach Berlin kam. Zeitungen verbreiten, Mehdi N. habe bei seiner Festnahme gerufen »Osama Bin Laden ist ein Held, ich tat das für Bin Laden«. Das sei »Quatsch«, lässt die Polizei verlauten, mit Terrorismus habe die Tat nichts zu tun. Zur selben Zeit wird berichtet, der angebliche Tunesier, der an den Anschlägen vom 11.März in Madrid beteiligt war, habe sich auch in Berlin aufgehalten.
Wut und Ängste schießen ins Kraut. Bereits kurz nach der Tat hielt Vater Udo Pötschke (46) im Marzahner Jugendclub »Die Wurzel« eine Rede, in der er sich gegen »Hass-Tiraden oder Vergeltungsschläge gegen Ausländer« ausspricht: »Der Tod meines Sohnes war das Werk eines Einzelnen.« Inzwischen versuchen jedoch NPD und »Freie Kameradschaften«, das Aufsehen um den Mord zu nutzen und den »Helden von Marzahn« zum Märtyrer für ihre Sache zu erklären. Bereits unter den 600 bis 800 Teilnehmern eines Trauermarsches am 3.April, der vom Tatort eine Stunde lang durch Marzahn ging, wurden etliche Neonazis gesichtet, sagt Sozialarbeiter Thomas Schleußner von der »Wurzel«. Am 7.April versammelten sich zwei Dutzend Rechte an der Mordstelle zu einer »Mahnwache«. Gerüchte kursieren, Thomas Pötschke sei einer der ihren gewesen.
»Deutschland uns Deutschen« und »Multikuturell = kriminell« verkündeten die Transparente, die am 15.April erneut am S-Bahnhof Marzahn aufgezogen wurden. Immerhin war den Neonazis verboten worden, sich direkt am Tatort, an dem mit Holzkreuz, Blumen und Kerzen eine Gedenkstätte improvisiert ist, aufzustellen. Dort hatten sich Freunde des Ermordeten niedergelassen. Udo Pötschke sagt, er habe die Neonazis gefragt, mit welchem Recht sie den Tod seines Sohnes als Plattform für ihre Propaganda missbrauchen. »Ganz Deutschland ist unsere Plattform«, habe ihr Anführer geantwortet. Der Vater stellt entschieden klar: »Mein Sohn war kein Rechter.« Sein Anwalt soll versuchen, juristisch gegen weitere Kundgebungen von Neonazis vorzugehen.