Liberia steht erneut am Scheideweg
Verhandlungsrunde mit allen Bürgerkriegsparteien soll dauerhaften Frieden einleiten
Von KURT STENGER
Die Bürgerkriegsparteien Liberias haben ihre Friedensverhandlungen in der ghanaischen Hauptstadt Accra unterbrochen. „Wir gehen zurück, um die strittigen Fragen unter uns auszumachen“, erklärte dieser Tage Alhaji Kromah, der Führer einer von gegenwärtig mindestens sieben aktiven Milizen in dem westafrikanischen Land. Am 12. Dezember soll weiterverhandelt werden.
Eigentlich sah in den letzten Monaten alles nach einem Abzug der Friedensstruppen der westafrikanischen Wirt-
schaftsgemeinschaft ECOWAS aus. Nigeria, das das größte Kontingent der 15 000-Mann-Truppe stellt und wegen der eigenen Wirtschaftskrise seine ersten 4000 Soldaten abzieht, hat kürzlich die UNO aufgefordert, sich an den Kosten zu beteiligen. Nach Schätzungen soll der Militäreinsatz das Land bereits zwölf Milliarden Dollar gekostet haben.
Die ECOWAS-Mission schien wegen neuer Kämpfe, auf Grund derer die beschlossene Entwaffnung zum Erliegen kam, bereits gescheitert. Es ist vor allem dem Engagement des
neuen ECOWAS-Generalsekretärs, Ghanas Präsident Jerry Rawlings, zu verdanken, daß die drei stärksten Milizen Mitte September unter Beteiligung des UN-Sondergesandten Trevor Gordon-Somers die Bildung einer fünfköpfigen „Nationalen Übergangsregierung“ (LNTGII) beschlossen hatten. Sie tritt an die Stelle von LNTGI, deren Mandat, Bestandteil des Friedensabkommens von Cotonou vom März 1993, zuvor ausgelaufen war LNTGI hatte keinerlei Kontrolle über den Friedensprozeß. Einzelne Minister gründeten sogar eigene Milizen.
An der Vereinbarung über eine neue Regierung gab es jedoch sofort Kritik, da sich die anderen Milizführer ausgeschlossen fühlten. Außerdem sieht die Nationalkonferenz, in der zivile Organisationen des Landes vertreten sind, die ? Gefahr einer
Militärjunta. Die Vorsitzende der Liberianischen Fraueninitiative, Mary Brownell, führte in der Hauptstadt Monrovia eine kleine Protestkundgebung an, bei der sie vor allem den UN-Sondergesandten angriff. Dieser habe zunächst die Bildung der Nationalkonferenz als Gegengewicht zu den Milizführern ermutigt, gestehe ihnen aber nun ein Alternativforum zu, das sie erheblich aufwerte.
Der Nationalkonferenz wird von Kritikern vorgeworfen, Überbleibsel der 1990 im Bürgerkrieg gebildeten Regierung zu sein, die über Monrovia hinaus nie Bedeutung erlangt hat-
te. Sie konnte sich gegen die NFPL-Rebellen unter Charles Taylor, die zeitweilig 90 Prozent des Landes kontrollierten, nur dank der ECOWAS-Intervention von 1991 halten. Taylor hat jedoch trotz der Unterstützung von einigen frankophonen Nachbarländern und aus Paris in den letzten Monaten inzwischen selbst stark an Einfluß verloren. Anfang September wurde seine Residenz in Gbarnga von einer Allianz aus drei Milizen plus einer Gruppe wichtiger NPFL-Dissidenten erobert.
Den immer unübersichtlicheren Kräfteverhältnissen in Liberia will ECOWAS mit der vor 14 Tagen begonnenen neuen Verhandlungsrunde Rechnung tragen. Ziel ist ein dauerhafter Waffenstillstand, der Voraussetzung für die Entwaffnung aller Milizen wäre. Zudem sollen alle Gruppierungen des Landes LNTG II unterstützen, die die Aufgabe hat, bis Oktober 1995 Wahlen vorzubereiten. Gelänge dies alles, was schon fast der Quadratur des Kreises gleichkäme, könnte der totgeglaubte Staat Liberia wiederauferstehen. Scheitern die Verhandlungen hingegen, werden die Friedenstruppen die Liberianer wohl ihrem Schicksal überlassen.
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