Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Liberia steht erneut am Scheideweg

Verhandlungsrunde mit allen Bürgerkriegsparteien soll dauerhaften Frieden einleiten

  • Lesedauer: 3 Min.

Von KURT STENGER

Die Bürgerkriegsparteien Liberias haben ihre Friedensverhandlungen in der ghanaischen Hauptstadt Accra unterbrochen. „Wir gehen zurück, um die strittigen Fragen unter uns auszumachen“, erklärte dieser Tage Alhaji Kromah, der Führer einer von gegenwärtig mindestens sieben aktiven Milizen in dem westafrikanischen Land. Am 12. Dezember soll weiterverhandelt werden.

Eigentlich sah in den letzten Monaten alles nach einem Abzug der Friedensstruppen der westafrikanischen Wirt-

schaftsgemeinschaft ECOWAS aus. Nigeria, das das größte Kontingent der 15 000-Mann-Truppe stellt und wegen der eigenen Wirtschaftskrise seine ersten 4000 Soldaten abzieht, hat kürzlich die UNO aufgefordert, sich an den Kosten zu beteiligen. Nach Schätzungen soll der Militäreinsatz das Land bereits zwölf Milliarden Dollar gekostet haben.

Die ECOWAS-Mission schien wegen neuer Kämpfe, auf Grund derer die beschlossene Entwaffnung zum Erliegen kam, bereits gescheitert. Es ist vor allem dem Engagement des

neuen ECOWAS-Generalsekretärs, Ghanas Präsident Jerry Rawlings, zu verdanken, daß die drei stärksten Milizen Mitte September unter Beteiligung des UN-Sondergesandten Trevor Gordon-Somers die Bildung einer fünfköpfigen „Nationalen Übergangsregierung“ (LNTGII) beschlossen hatten. Sie tritt an die Stelle von LNTGI, deren Mandat, Bestandteil des Friedensabkommens von Cotonou vom März 1993, zuvor ausgelaufen war LNTGI hatte keinerlei Kontrolle über den Friedensprozeß. Einzelne Minister gründeten sogar eigene Milizen.

An der Vereinbarung über eine neue Regierung gab es jedoch sofort Kritik, da sich die anderen Milizführer ausgeschlossen fühlten. Außerdem sieht die Nationalkonferenz, in der zivile Organisationen des Landes vertreten sind, die ? Gefahr einer

Militärjunta. Die Vorsitzende der Liberianischen Fraueninitiative, Mary Brownell, führte in der Hauptstadt Monrovia eine kleine Protestkundgebung an, bei der sie vor allem den UN-Sondergesandten angriff. Dieser habe zunächst die Bildung der Nationalkonferenz als Gegengewicht zu den Milizführern ermutigt, gestehe ihnen aber nun ein Alternativforum zu, das sie erheblich aufwerte.

Der Nationalkonferenz wird von Kritikern vorgeworfen, Überbleibsel der 1990 im Bürgerkrieg gebildeten Regierung zu sein, die über Monrovia hinaus nie Bedeutung erlangt hat-

te. Sie konnte sich gegen die NFPL-Rebellen unter Charles Taylor, die zeitweilig 90 Prozent des Landes kontrollierten, nur dank der ECOWAS-Intervention von 1991 halten. Taylor hat jedoch trotz der Unterstützung von einigen frankophonen Nachbarländern und aus Paris in den letzten Monaten inzwischen selbst stark an Einfluß verloren. Anfang September wurde seine Residenz in Gbarnga von einer Allianz aus drei Milizen plus einer Gruppe wichtiger NPFL-Dissidenten erobert.

Den immer unübersichtlicheren Kräfteverhältnissen in Liberia will ECOWAS mit der vor 14 Tagen begonnenen neuen Verhandlungsrunde Rechnung tragen. Ziel ist ein dauerhafter Waffenstillstand, der Voraussetzung für die Entwaffnung aller Milizen wäre. Zudem sollen alle Gruppierungen des Landes LNTG II unterstützen, die die Aufgabe hat, bis Oktober 1995 Wahlen vorzubereiten. Gelänge dies alles, was schon fast der Quadratur des Kreises gleichkäme, könnte der totgeglaubte Staat Liberia wiederauferstehen. Scheitern die Verhandlungen hingegen, werden die Friedenstruppen die Liberianer wohl ihrem Schicksal überlassen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal