Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Beerdigung eines heimlichen Gefährten

Berlin-Marzahn: Gestern trugen Freunde Günter Guillaume zu Grabe

  • Rene Heili
  • Lesedauer: 3 Min.

Foto: Mittenzwei

Kollegen nach, was der denn von den Karlsruher Richtern nun erwartet. Noch immer haben die nicht entschieden, ob die Anklagen gegen Wolf und Genossen rechtens sind. Immerhin, Sonja Lüneburg, die als Sekretärin Bangemanns der HVA verpflichtet war, mußte bislang nicht hinter Gitter. Sie war in Marzahn. Ein gutes Zeichen?

, Großmann hielt die Trauerrede in der übervollen Feierhalle. Er verteidigte „Günters Arbeit und die aller Kundschafter für den Frieden“ Wer hinten stand, wurde vom Geräusch vorüberfahrender S-Bahnen genervt. Gerade daß man noch wahrnehmen konnte, Guillaume sei keineswegs der Mann gewesen, der Brandt vom Regierungssessel holte. Das hätten ganz andere besorgt. Großmann trug insbesondere Historikern und Medien auf, bei der Wahrheit zu bleiben.

Wahrheit. Aus wie vielen Schichten besteht sie? Und wie ertrugen sie Günter und Christel Guillaume? Natürlich, bei-

de halfen mit ihren nicht geringen Möglichkeiten der West-Ost-Entspannung voran. „Es ist schließlich schon etwas anderes, wenn man die Absichten und Ideen der Regierung aus Brandts unmittelbarer Umgebung erfährt statt aus

den Zeitungen. Doch daß Günter der HVA Meisterstück gewesen sei, wollte Großmann nicht in Mikros sprechen.

Wie konnten die Guillaumes umgehen mit Wahrheit, mit der Wirklichkeit West und der im Osten? Wie vertrauten sie

im fernen Bonn einem Chef, der als Minister letztlich „alle liebte“ und nach der Wende nur noch seinen Lederhut?

2718 Tage saß Günter Guillaume im bundesdeutschen Knast, bis Rechtsanwälte auch seinen Austauschpreis ausgehandelt hatten. Anfang Oktober 1981 steckte Honecker ihm den Karl-Marx-Orden ans Revers. Großmann aber erwähnte Depressionen. Die Ehe ging in die Brüche, der Juso-Sohn Pierre konnte sich in der DDR nicht eingewöhnen. Und wie mag sich Günter Guillaume gefühlt haben, als man ihn zur Gewinnung tschekistischen Nachwuchses von Kollektiv zu Kollektiv durchreichte?

Die nüchterne Biografie sagt wenig über innere Befindlichkeiten. Mit 17 in die Wehrmacht, dann Gefangenschaft. 1952 SED-Mitglied, 1956 „Zonenflüchtling“, dann Aufstieg bis in höchste bundesdeutsche Kreise. Aus dem Knast schickte er eine Friedenstaube, nach Picasso-Art, an den IX. Parteitag der SED. Und doch, Großmann erwähnte „Reintegrationspro-

bleme Das beträfe nicht nur Guillaume, auch alle anderen, die wiederkamen, sagte er im Dialog mit dem ND „Wenn man wie er für Jahrzehnte aus der Heimat weg war und zurückkommt, mangels Kenntnissen nicht mehr im erlernten Beruf arbeiten kann, hat man wohl zwangsläufig Probleme.“

Was war mit den Kundschafter-Erfahrungen? Wer konnte deutsch-deutsches Politgeschehen besser beurteilen

als er? Großmann: „Ja, wir haben da Fehler gemacht. Wir haben ihm Verantwortung nur unzureichend übertragen.“

Drei Dinge sollen noch erwähnt sein. Erstens die ungewohnte Mäßigung der Journalisten, zweitens die allzeit bereiten jungen Männer mit Funkgerät und Sport-Outfit. Drittens die Tatsache, daß dem Toten Ehrenkompanie und Ordenskissen erspart blieben.

RENE HEILIG

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -