Wie Abfall an den Straßenrand geworfen

Über 1000 Frauen und Mädchen Guatemalas wurden in den vergangenen drei Jahren ermordet

  • Wolf-Dieter Vogel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Liste der Opfer ist lang. In den vergangenen drei Jahren wurden in Guatemala 1049 Frauen und Mädchen umgebracht. Die Aufklärungsquote ist gering. Vermutlich auch deshalb, weil Sicherheitskräfte mit diesen Morden in Verbindung gebracht werden.
Die Leiche von Dora Gregorio Cervantes wurde auf einem brachliegenden Gelände gefunden. Ihre Mörder hatten die 15-Jährige vor ihrem Tod gefoltert. Auch Isaura Sontay Carrillo, Odíli Peña Bran und Lesly Ivón Patzán wurden schwer misshandelt, bevor man sie wie ein Stück Abfall am Wegesrand liegen ließ. »In den vergangenen drei Jahren wurden in Guatemala 1049 Frauen und Mädchen umgebracht,« erklärt die UNO-Sonderberichterstatterin Yakin Ertürk. Erst durch ihren Besuch im Februar gelangten die Zahlen an die internationale Öffentlichkeit. Einheimische feministische Gruppen machen jedoch schon lange auf die Situation aufmerksam. »Die meisten der Frauen und Mädchen waren zwischen 14 und 30 Jahre alt«, sagt Giovanna Lemus vom Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen aus Guatemala-Stadt. Eine Studie der guatemaltekischen Nachrichtenagentur Cerigua macht noch weitere Gemeinsamkeiten aus. Zahlreiche Leichen seien in Mülltüten und Säcken gefunden worden, an Füßen und Händen gefesselt. Häufig wurden die Frauen vergewaltigt, ihr Schädel zertrümmert und ihr Körper verstümmelt. Auch Behörden stellen immer wieder Ähnlichkeiten fest. So spricht die Mordkommission der Zivilen Nationalpolizei davon, dass die Täter ihre Opfer häufig in der gleichen Form angegriffen hätten. Zudem kämen die Frauen und Mädchen durchgängig aus den unteren sozialen Schichten. Sandra Zayas, die Leiterin der Staatsanwaltschaft für Frauen im Innenministerium, geht dennoch nicht von Serienmorden aus. Sie spricht von verschiedenen Hintergründen: Drogenhandel, Prostitution, Organisierte Kriminalität. »Häufig sind Maras, also Jugendbanden, verantwortlich«, sagt die Anklägerin. Meist seien banale Gründe wie Eifersucht und Streitigkeiten der Bandenchefs im Spiel. Dieser Verdacht wird nicht von allen geteilt. Sergio Morales von der vom Kongress bestellten Ombuds- stelle für Menschenrechte meint: »Die Art, wie die Frauen ermordet wurden, ist nicht typisch für die Banden.« Was aber könnte dann hinter den Morden stecken? Auch die Aktivistinnen vom Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen haben darauf keine Antwort. »Woher auch, wenn es keine Strafverfolgung gibt«, fragt deren Sprecherin Lemus. Von den 383 gemeldeten Morden im Jahr 2003 seien 306 nicht aufgeklärt worden. Und die UNO-Beauftragte Ertürk resümiert: »Das Ausmaß der Straflosigkeit legt nahe, dass es Gewalt gibt, die von den Behörden begangen wird.« Dieser Verdacht sollte sich erst jüngst bestätigen. »Wir haben in elf Fällen eine definitive Beteiligung von Sicherheitskräften festgestellt«, ließ Ombudsmann Morales Ende März wissen. Er geht davon aus, dass 200 der Morde von Personen begangen wurden, die mit der Polizei oder dem Militär verbunden sind. Der Menschenrechtler verweist auf Zeugenaussagen, denen zufolge es ein Netz von Polizisten gibt, die sich auf Entführungen und Erpressungen konzentriert hätten. Davon geht auch Sandra Morán von den »Frauen der Zivilgesellschaft« aus Guatemala-Stadt aus. Sie zieht eine Verbindung zum 36-jährigen Bürgerkrieg, in dem Polizei und Militär auch brutal gegen die weibliche Bevölkerung vorgegangen waren. Auch wenn die Polizei nach dem Friedensschluss 1996 einen anderen Namen bekommen habe, sei eine »große Prozentzahl der Beamten "recycled"« worden, erklärt Morán. Die Brutalität der Täter und die Straflosigkeit bei begangenen Verbrechen erinnern an die Mordserie in Ciudad Juarez. In der nordmexikanischen Grenzstadt wurden nach Angaben von Amnesty International (ai) in den letzten elf Jahren mindestens 370 Frauen ermordet, über 500 sind verschwunden. Beobachter sind der Meinung, dass die Taten mit der dort ansässigen Drogenmafia in Verbindung stehen, die wiederum mit staatlichen Behörden zusammenarbeitet. Yanette Bautista vom Internationalen Sekretariat von Amnesty in London hält die Situation im südlichen Nachbarland jedoch für noch schlimmer. Schließlich seien in Guatemala »im vergangenen Jahr so viele Frauen ermordet wie in zehn Jahren in Ciudad Juarez«. Die letzten Nachrichten aus Guatemala lassen keine Besserung erwarten. Allein in den ersten Monaten dieses Jahres seien wieder 44 Frauen ermordet worden, berichtete unlängst der Menschenrechtler Morales.
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