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Drei Garagentore und drei Bäume

  • Lesedauer: 2 Min.

Durch das große Fenster schaut sie auf einen betonierten Hof und drei Garagentore. Wenn sie sich in ihre Sofaecke drückt, kann sie auch drei Bäume sehen. Die Wohnung frißt ein Drittel ihres Gehalts. Sie schwärmt von Frankfurts Umgebung, von den gut ausgebauten Radwegen. In Leipzig war sie mit dem Rad zweimal unters Auto gekommen. Sie genießt gutes Essen, das Obstund Gemüseangebot, daß es alles gibt, wenn man selbst etwas Schnuckeliges kochen will.

Anne Gündel lebt allein. Sie hat kein Hobby, liest gelegentlich ein Buch („Am liebsten einen Krimi aus der DIE-Reihe.“), war vor Wochen das letzte Mal im Kino („Der bewegte Mann“). Für politische Arbeit bleibt nur noch wenig Zeit. Gelegentlich in der AG Lisa der Frankfurter PDS, es gibt auch Kontakte zur gerade gegründeten Feministinnenpartei. „Ich bin im Moment ein Workaholic“, gesteht sie und macht ein glückliches Gesicht dabei. Begeistert spricht sie von ihrer Arbeit, von der Atmosphäre im Institut. Im nächsten Jahr muß sie mit ihrem Projekt fertig sein.

Nein, sie fühlt sich nicht einsam, hat auch hier ihren Freundeskreis, wenn auch: „Hier kann ich nicht spontan zu jemandem gehen - auf ein Bier. Das muß ich Wochen vorher anmelden, möglichst telefonisch.“ Alles sei auf Erfdlg und_, j Individualismus,, aufgebaut, “selbst Freundschaften würden irgendwie materialisiert. Man fragt, was bringt es mir? Da bliebe Distanz: „Irgendwo ist da etwas, wo wir uns nicht verstehen.“ Und doch zieht sie wenig zurück in den Osten. Im April war sie das letzte Mal dort, auf einem Soziologenkongreß in Halle. „Ich merke, wie das so langsam wegtritt.“ Sie bedauert es nicht, und doch gibt es ihr einen Stich, wenn sie nach Hause fährt und man sie empfängt: Da kommt unser Wessi. Sie kommt nicht heim, sie kommt auf Besuch. Sie ist hier schon fort und dort noch nicht da.

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